Unverhofft kommt oft

Hermann Wilken schreibt die Neuenrader Kirchenordnung


Knapp 20 Jahre, nachdem Hermann Wilken seine Heimatstadt zum Studium verlassen hatte, kehrte er 1564 zu einem längeren Besuch nach Neuenrade zurück. Dort ließ man sich die Gelegenheit nicht entgehen, einen weit gereisten Universalgelehrten in der Stadt zu haben.

Mit vereinten Kräften überzeugten die Räte den Heidelberger Professor, ihnen eine Kirchenordnung zu schreiben. So verfasste er innerhalb kurzer Zeit die Kerckenordeninge der Christliken Gemeine tho Niggen Rade. Wie genau es dazu kam, weiß man nicht. Aber so könnte es gewesen sein. 

 


Als er endlich ankam, fühlte er sich erschöpft. Ganze neun Tage hatte Hermann Wilkens Reise gedauert. Meistenteils kalte Märztage. Zu Pferde war er in seine Heimatstadt Niggen Rade (Neuenrade) gekommen. Ohne Begleitung, nur mit dem nötigsten Gepäck. Erst kurz vor der Abreise hatte er der Familie per Boten eine Nachricht gesendet, dass er einige Wochen in der Heimat verbringen würde. Und dass er nicht aus Heydelberg (Heidelberg) anreise, sondern aus dem pfälzischen Oppenheim. Denn dorthin hatte die philosophische Fakultät der Universität umziehen müssen, nachdem in Heidelberg ein weiteres Mal die Pest ausgebrochen war. Kurz, bevor es für ihn nach Heidelberg zurückging, nutzte Hermann die Gelegenheit, für eine Weile die Familie zu besuchen.

Lange Ritte war er nicht mehr gewohnt, seitdem er in Heidelberg 1561 dauerhaft heimisch geworden war. Auf Empfehlung seines inzwischen verstorbenen Förderers Philip Melanchton war er an der Universität zunächst als Aushilfslehrer tätig gewesen. Ein hervorragender Abschluss des Magistertitels 1563 machte ihn zum Professor für Griechisch. Mit Anfang 40 war der Gelehrte dort angekommen, wo er sein wollte: Er lehrte und forschte an der, nach Prag und Wien, ältesten Universität im deutschen Sprachraum. Seine Position ließ ihm auch genug Zeit, eigene Schriften und Bücher zu verfassen. Die frühe Unterbrechung kam ihm nicht gelegen, doch die Pest war die Pest. Wer konnte, floh. Im Wissen, dass diese Plage kam und ging.


Besuch eines Universalgelehrten

Neuenrade – seit gut 200 Jahren eine Stadt mit mehr als 500 Seelen – war zwar immer wieder Opfer von Stadtbränden geworden, doch von der Pest verschont geblieben. Der bestens befestigte Ort war von einer hohen Stadtmauer umschlossen. Zu jener Zeit war stets mindestens ein Mitglied von Hermanns Familie im Rat vertreten, bei seiner Ankunft im März des Jahres 1564 war sein Bruder Diederich Bürgermeister. Der ließ es sich nicht nehmen, ihn sogleich am Familiensitz in der Ersten Straße zu begrüßen, gleichzeitig der Sitz des Gasthauses der Familie. Auch der Rest der Familie bereitete ihm einen freundlichen Empfang. Seiner Mutter stand die Freude ins Gesicht geschrieben und sein Vater klopfte ihm gar auf die Schulter. 

Sein Gemach am Familiensitz war bereits hergerichtet. In zwei Tagen sollte zu seinen Ehren ein Festmahl stattfinden – schließlich war Hermann inzwischen ein berühmter Mann. Geladen waren alle Honoratioren der Stadt, viele Männer waren ihm bekannt. Doch zunächst wollte und sollte sich Hermann vom langen Ritt erholen. Er freute sich über wohlgeordnete Verhältnisse, vor allem aber auf eine komfortable Schlafstatt nach den Übernachtungen auf sehr unterschiedlichen Lagern der Herbergen. Nach einem kurzen Mahl begab er sich zur Ruhe und träumte in seiner ersten Nacht nicht eben angenehm von überstandenen Nächten in Frankofurtum (Frankfurt), Niwiheim (Bad Nauheim), Cleeburg (Hüttenberg), Kaczenfurt (Katzenfurt), Hegera (Haiger), Sige (Siegen), Heylichinbach (Hilchenbach) und Finnentrop. 



Dennoch wachte er gestärkt auf, nahm ein Frühstück und begab sich zu seinem Bruder ins Rathaus. Der berichtete ihm vom Fortgang der kirchlichen Reformation in der Stadt. Nachdem Neuenrade sich Luthers Lehren angeschlossen hatte, sollten jetzt praktische Änderungen folgen. Hermann kannte die Situation bereits aus Briefen der Familie. Der Neuenrader Rat hatte vor kurzem entschieden, die katholische Marienkapelle als protestantische Kirche zu weihen. Für Hermann eine logische Konsequenz und ein nachvollziehbarer Plan – auch wenn in den Herzogtümern Jülich, Kleve und Berg offiziell noch das katholische Bekenntnis galt.

Die Brüder nahmen gemeinsam ein Mittagsmahl ein und verabschiedeten sich dann voneinander. Hermann führte der Weg aus der Stadt hinaus in die winterlichen Wälder bis hinauf zum Berentroper Berg. Am Kloster ließ er sich von den Mönchen Wasser geben, dann kehrte er nach Neuenrade zurück. Während er sich auf die abendliche Zusammenkunft mit der Familie freute, ging ihm der Gedanke ans christliche Abendmahl durch den Kopf. Eine Kirche umzuwidmen, war eine Sache. Doch wie würde der Gottesdienst sich gestalten? Aus seiner Zeit an der Domschule in Riga kannte er die strenge Ordnung der dortigen Abläufe in der protestantischen Kirche – und auch in Neuenrades katholischer Kirche hatten die Messen nach klaren Regeln stattgefunden. Doch diese Regeln ließen sich in keiner Weise auf einen protestantischen Gottesdienst übertragen.  


Der Bruder des Bürgermeisters

In der Dämmerung des Märztages kehrte er nachdenklich zum Familienhaus zurück. Beim Nachtmahl ging es ausschließlich um familiäre Angelegenheiten. So sprach die Familie über die beruflichen Schritte, die Hermann und sein Bruder Philipp genommen hatten. Letzterer war Hermann – immer mit einigen Jahren Verzögerungen – sowohl zum Studium nach Wittenberg als auch auf die Position in der Domschule in Riga gefolgt. Jetzt dachte Philipp daran, nach Heidelberg zu gehen, doch der Pestausbruch hatte diesen Wunsch vorerst zunichtegemacht. Der Abend endete früh, denn für den nächsten Tag waren reichlich Gäste geladen.

Hermann zog sich ins Schlafgemach zurück, trank im Kerzenschein noch ein Bier und dachte wieder an das Abendmahl. Neuenrade würde kirchliche Regeln brauchen – und stand damit sicher nicht allein. Er wusste von der Rigaer Kirchenordnung und der Mecklenburger Kirchenordnung von Melanchthon. So manche protestantische Stadt hatte sich lange vor dem Augsburger Religionsfrieden 1555 eine eigene Kirchenordnung gegeben. Soest zum Beispiel 1532. 1557 war die Pfalz-Zweibrückische Kirchenordnung erlassen worden. Doch in den Herzogtümern Jülich, Kleve und Berg war ihm nichts bekannt. Allerdings war er ja bei aller protestantischen Prägung kein Theologe. Daher war es auch müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er löschte die Kerze und ging zu Bett.

Den nächsten Vormittag widmete er sich seinen Vorlesungen zu Homer. Nach zwei Semestern stand er noch immer am Anfang seiner Lehrtätigkeit. Es galt, seine Studenten mit dem Stoff zu fesseln. Er wollte ihnen nicht nur Griechisch beibringen, sondern ihnen die besondere Bedeutung der beiden wichtigen Epen der Menschheitsgeschichte – der Illias und der Odyssee – vermitteln. Hermann wollte Homers Kosmos für sie aufspannen. Bis zum Mittag arbeitete er konzentriert am großen Eichentisch, den er noch aus seiner Schulzeit kannte.   

Am Mittagstisch ging es lebhaft zu, da auch Diederichs Kinder zugegen waren. Der mahnte sie mit mäßigem Erfolg zur Ruhe, wirkte dennoch abwesend. Eine Zusammenkunft des Rats stand ihm bevor. Nach der Mahlzeit bat Diederich Hermann, ihn als Gast zu begleiten. Auf dem kurzen Weg zum Rathaus berichtete er seinem Bruder: Der Rat, der aus elf Ratsherren bestand, wollte nicht nur über das Procedere bei der protestantischen Weihe der Neuenrader Kirche sprechen, sondern auch über die Gestaltung des Gottesdienstes.

Hermann war nicht erstaunt, auch er hatte ja bereits über die Ausprägung des Gottesdiensts nachgedacht. Und neben dem Ablasshandel der katholischen Kirche war auch der Pomp ihrer Messen einer der Auslöser der Reformation gewesen. In der protestantischen Kirche hingegen sollte die Botschaft Gottes schlicht und für alle Gemeindemitglieder verständlich vermittelt werden. Er war gespannt, was im Rat besprochen würde.


Ein unausgesprochener Antrag

Die Ratsherren hießen Hermann willkommen und begrüßten ihn herzlich. Die meisten waren der Ansicht, dass man vom Beisein dieses Sohnes Neuenrades und weit gereisten Gelehrten nur profitieren könne. Auch der Pfarrer war der Einladung gefolgt. Es ging schon bald hoch her. Man kam vom Höckchen aufs Stöckchen, sprang von der Kirchenweihe über die Länge der Predigt bis zur Ausprägung des abschließenden Segens. Irgendwann hob einer der Ratsherren die Hand und schlug vor, erst über die Weihe zu beraten und dann über die Gestaltung des Gottesdienstes.

Man stimmte zu, diskutierte weiter und legte Pfingsten als Tag der Weihe fest. Der Pfarrer erklärte sich bereit, die Vorbereitungen zu treffen, kam aber dann auf einen wichtigen Punkt zurück: Die Gestaltung des anschließenden ersten Gottesdienstes in der neu geweihten Kirche – immerhin an einem der höchsten christlichen Feiertage. Hermann nickte bedächtig. Dann hob er die Hand und warf ein, dass einige protestantische Städte diese Abläufe in einer Kirchenordnung festgeschrieben hätten. Und dass eine solche Kirchenordnung auch für Neuenrade eine Lösung sein könne.



Der Pfarrer gab ihm Recht und erwähnte die seit langen Jahren existierende Soester Kirchenordnung, von der er gehört hatte, die er jedoch nicht im Detail kannte. Auch die Räte und der Bürgermeister waren von der Idee angetan. Die Frage war nur: Wer könnte eine solche Kirchenordnung verfassen? Dazu noch innerhalb weniger Wochen? Diederichs Blick wanderte zu seinem Bruder. Der hob fragend die Augenbrauen, schüttelte dann leicht den Kopf. Doch es war zu spät. Der Pfarrer erinnerte sich, dass Hermann in Wittenberg studiert hatte – noch dazu bei Philipp Melanchthon. Die perfekte Referenz.

Doch Hermann wehrte ab, er sei kein Theologe und in Kirchenfragen nicht bewandert. Seine Erfahrungen beruhten beinahe ausschließlich auf eigenen Gottesdienst-Besuchen. Doch auch die Ratsherren hatten inzwischen Feuer gefangen und redeten wieder durcheinander. Gelehrter, Wittenberg, Professor, Melanchthon klangen aus dem Stimmengewirr immer wieder durch. Der Professor hatte die wie zum Gebet zusammengeführten Hände an den Mund gelegt. Mehr überrascht als verärgert, welchen Lauf die Diskussion nahm. Besser ginge es doch nicht, erklang es von den Herrschaften. Hermann hob beschwichtigend beide Hände und bat sich Bedenkzeit aus. Dann verließ er mit freundlichem Gruß die Versammlung.


Festmahl zu Ehren des hohen Gasts

Der Tag war weit fortgeschritten. Bis zum abendlichen Festmahl blieb keine Zeit mehr, durch Wald und Flur zu wandern. Daher entschied sich Hermann, Neuenrade auf der Stadtmauer zu umrunden. Die Heimatstadt zu seinen Füßen ging er los. Zweimal grüßte er die Wächter, die auf der Mauer ihre Runden drehten. An allen vier Enden der rechteckigen Anlage blieb er stehen, blickte erst auf die Stadt, dann auf das Umland. Auch auf der Höhe des Kirchleins verweilte er länger. 

Sicher würde er seiner Heimatstadt gerne helfen. Allein, ihm fehlte das tiefe Wissen. Eine schlechte Ausgangsposition für einen Gelehrten. Er müsste das Ganze überschlafen. Aus dem Stegreif konnte er keine Entscheidung treffen. Andererseits drängte die Zeit. Pfingsten war nicht weit. Die heutige Versammlung war für eine so weitrechende Entscheidung viel zu spät gewesen. Sei’s drum. Er freute sich erstmal auf einen festlichen Abend. 

Das Gasthaus der Wilkens summte wie ein Bienenstock. Dabei waren die Gäste noch gar nicht eingetroffen, doch Köchinnen und Mägde steckten tief in den Vorbereitungen. Hermann blieb also noch Zeit, sich in sein Gemach zurückzuziehen. Kurz darauf klopfte es an der Tür, Diederich trat ein und kam sogleich auf die Versammlung zu sprechen – ausdrücklich, um seinen Bruder nicht zu bedrängen. Hermann wiegelte ab und versprach, am nächsten Tag eine Entscheidung zu treffen. Jetzt würde man feiern. Gemeinsam gingen sie ins Gasthaus hinunter.

Der Abend versprach, sehr gesellig zu werden. Die Familie ließ sich nicht lumpen und fuhr trotz Fastenzeit reichlich Fleisch und Brot auf, auch an Bier wurde nicht gespart. Alle Ratsherren waren gekommen, dazu der Amtsherr, weitere Honoratioren der Stadt sowie der Pfarrer. Es wurde geschmaust und viel gelacht. Man sprach über die Pest, vor der Hermann geflohen war, und die Neuenrade verschont hatte. Über den erfolgreichen Handel der Neuenrader mit Eisen- und Tuchwaren in der Hanse. Über den Segen des Osemundeisens. Und hin und wieder auch über Pfingsten und ein Schriftstück namens Kerckenordeninge. 

Lange sah man Hermann mit dem Pfarrer zusammensitzen und ernst miteinander sprechen. Auch mit seinem Bruder, dem Bürgermeister, und mit manchem Ratsherrn steckte er die Köpfe zusammen.


Der Morgen der Entscheidung

Nach einer traumlosen Nacht erwachte Hermann früh am nächsten Morgen mit einer Eingebung: Wittenberg! Er zweifelte gar nicht daran, eine individuelle Kirchenordnung für Neuenrade verfassen zu können. Immerhin hatte er in Riga bereits eine Abhandlung über die Kindstaufe geschrieben. Der Pfarrer hatte ihm am Abend zudem Unterstützung in religiösen Fragen zugesagt. Er war überzeugt, dass er sich ausreichend an die Abläufe verschiedener Gottesdienste erinnern würde, sei es in Riga, in Rostock oder in Heidelberg. Was ihm fehlte, war jedoch das Wissen um das Spektrum der Inhalte. 

Deswegen war es ihm wichtig, sich eine Kirchenordnung anzusehen – möglichst aus einem Ort, deren Gottesdienste er gut kannte. Die Zeit würde nicht reichen, einen Boten nach Riga zu senden. Obwohl ihm sein Bruder Phillipp, der seine frühere Position an der Domschule übernommen hatte, sicher sofort ein Exemplar der Rigaer Kirchenordnung würde zusenden können. Doch der Bote wäre kaum vor Pfingsten zurück. 



Ein schneller Bote nach Wittenberg bräuchte allerdings deutlich weniger Zeit, 10 bis 11 Tage pro Weg vielleicht. Dort sollten sicher Exemplare der Mecklenburger Kirchenordnung von Phillipp Melanchthon vorliegen, die auch in Rostock galt. Hermann sprang vom Lager auf und setzte sich an den Eichentisch. Er spitzte die Feder, nahm einen Bogen Pergament und schrieb an seinen guten Freund Johannes in Wittenberg. Er hatte mit ihm bei Melanchthon studiert und verfügte in der Stadt über die besten Verbindungen. Dann versiegelte er den Brief, kleidete sich an und begab sich samt Brief zum Frühstück. 

Dort traf er auf seinen Bruder und den Rest der Familie. Hermann nickte Diederich zu, der verstand sofort und reichte ihm froh ein Stück Brot. Hermann deutete auf seinen Brief und fragte nach einem schnellen Boten. Der Bürgermeister schickte sogleich nach seinem besten Mann und nach einem weiteren Boten, um den Rat nochmals einzuberufen. Hermann wiederum kündigte an, sich mit dem Pfarrer treffen zu wollen, denn die Arbeit an der Kirchenordnung dulde keinen weiteren Verzug. Statt den homerischen Kosmos für seine Studenten aufzuspannen, würde er sich in den nächsten Wochen vorwiegend der Neuenrader Kirchenordnung widmen und sich in dieser Zeit von der Familie verwöhnen lassen.


Hermann Wilken (1522-1603)

Über die Kindheit Hermann Wilkens ist wenig bekannt. Seine Familie soll ein Gasthaus besessen und einflussreiche Mitglieder der städtischen Gemeinde hervorgebracht haben. 1545 schrieb sich Hermann als Student an der kurbrandenburgischen Landesuniversität Frankfurt/Oder ein. Zwei Jahre später wechselte er zum Studium nach Wittenberg, wo er auf Philipp Melanchthon traf, der dort Luthers Werk fortführte. Jener empfahl Hermann Wilken 1552 als Rektor an die Latein- bzw. Domschule in Riga, wo er viele Jahre blieb. 1561 wollte er sein Studium zunächst in Rostock fortsetzen, entschied sich dann jedoch für Heidelberg – vermutlich ebenfalls noch auf Empfehlung Melanchthons, der 1560 verstarb. 

Sein Magisterabschluss 1563 in Heidelberg war so hervorragend, dass er zum Professor für Griechisch berufen wurde. Bereits im Sommersemester hielt er erste Vorlesungen, im Wintersemester gehörte er offiziell zur Philosophischen Fakultät. Kurz nach Beginn des Wintersemesters brach jedoch die Pest aus, die Philosophische Fakultät zog ins Städtchen Oppenheim. Zum Ende der Oppenheimer Zeit reiste Hermann Wilken nach Neuenrade zur Familie, wo er die Neuenrader Kirchenordnung verfasste. Der Landesherr allerdings, Herzog Wilhelm V. von Jülich, Kleve und Berg, ließ diese Kirchenordnung verbieten, obwohl er in Glaubensfragen keine strenge Linie vertrat und zwischen den christlichen Glaubensparteien vermittelte. Er ließ die gedruckten Bücher noch beim Buchdrucker in Dortmund vernichten. Zwei Exemplare blieben jedoch bis in unsere Zeit erhalten. 

Hermann Wilken kehrte nach Heidelberg zurück, wo er zum angesehenen Mitglied des Lehrkörpers und 1569 sogar zum Rektor der Heidelberger Universität gewählt wurde. Bis 1579 blieb er Professor für Griechisch. Nach der Spaltung der evangelischen Kirche in reformiert und lutherisch versuchte der streng lutherische Kurfürst Ludwig VI. von der Pfalz, die Professoren zu diesem Bekenntnis zu zwingen. Doch die meisten Professoren weigerten sich – so auch Hermann Wilken. Ein Großteil des Lehrkörpers wechselte nach Neustadt an der Hardt. Nach Ludwigs Tod kehrten sie nach Heidelberg zurück – Hermann Wilken lehrte dann bis 1601 als Professor für Mathematik. 1603 starb er in Heidelberg.

Der Universalgelehrte hinterließ neben der Neuenrader Kirchenordnung und dem Neuenrader Gesangbuch viele wissenschaftliche Schriften, darunter Ausführungen zur Astronomie sowie Schriften zur Mathematik, zum Kalenderwesen und zur Landvermessung. Als sein Hauptwerk gilt jedoch „Christlich Bedenken und Erinnerung von Zauberey, woher, was und wie vielfältig sie sey …“, in dem er sich mit dem zunehmenden Hexenwahn auseinandersetzte, vor blinden Hexenjagden warnte und sich gegen Hinrichtungen aussprach. Die Hexenverfolger waren mächtig, daher veröffentlichte er das Buch 1585 unter dem Pseudonym Augustin Lercheimer. Weitere Auflagen erschienen 1586, 1597, 1627, 1654, 1847 und 1888. 


Wusstest du schon, dass ...

… Hermann Wilken tatsächlich innerhalb kürzester Zeit eine individuelle Kirchenordnung für seine Heimatstadt verfasste?

… die Neuenrader Kirchenordnung von 1564 in der ganzen Region einzigartig war?

… die Kirchenordnung gerade mal zwölf eng beschriebene Seiten, ungefähr im heutigen DIN-A5-Format, umfasste?

… die Neuenrader Kirchenordnung vom Landesherrn Herzog Wilhelm V. von Jülich, Kleve und Berg verboten wurde und die gedruckten Exemplare noch in der Druckerei in Dortmund vernichten ließ?

… zwei Exemplare der Neuenrader Kirchenordnung gerettet werden konnten und eines davon bis heute in Neuenrade verwahrt wird?

… die Neuenrader ihre Kirchenordnung trotz des Verbots lange Zeit nutzten?

… Hermann Wilken anschließend auch eine Liedersammlung für die Neuenrader Gemeinde zusammenstellte? 

… er bei dieser Liedersammlung auf viele Werke aus der Rigaer Kirchenordnung von 1559 zurückgriff und auch vier eigene Werke schuf?

... das Neuenrader Sanctus überregionale Bedeutung erlangte und bis heute noch in Neuenrade und in vielen Gemeinden der Evangelischen Kirche von Westfalen vor der Gabenbereitung des Heiligen Abendmahls angestimmt wird?



Wanderungen auf Hermann Wilkens Spuren

Natürlich sah Neuenrade vor rund 460 Jahren noch völlig anders aus als heute. Die Stadtmauer, auf der Hermann Wilken spaziert, gibt es schon lange nicht mehr. Doch noch immer kannst du rund um die Stadt wunderschöne, erholsame Wanderungen machen, in denen auch du die Gedanken schweifen lassen kannst.
Schau dir unsere Vorschläge mal an:


Hinweis

Die Geschichte bedient sich biografischer Details von Hermann Wilken. Dennoch ist er hier eine Kunstfigur.
Innerhalb des belegten historischen Rahmens sind Beschreibungen, Handlungen und Situationen der Figuren fiktiv.


Literatur

Dieter Stievermann, Die Neuenrader Kirchenordnung von 1564 und ihr Verfasser Hermann Wilken, Festvortrag zum 450jährigen Jubiläum, in: Der Märker – Landeskundliche Zeitschrift für den Bereich der ehem. Grafschaft Mark und den Märkischen Kreis, Heft 2015, S. 48-66, Altena, 2015

Georg Gudelius, Die Neuenrader Kirchenordnung von 1564, in: Der Märker – Landeskundliche Zeitschrift für den Bereich der ehem. Grafschaft Mark und den Märkischen Kreis, Heft 3/4 1955, S. 108-115, Altena, 1955

Binz, C., "Witekind, Hermann" in: Allgemeine Deutsche Biographie 43 (1898), S. 554-556 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd100705367.html#adbcontent (Letzte Überprüfung: 25. März 2023)
 

Text: Sabine Schlüter - Die flotte Feder

Mehr als
200
Freizeitmöglichkeiten
Über
220
spannende Wander- und Radwege
Mehr als
300
Gerne-Gastgeber
Und das in
1
Stunde ab Dortmund oder Köln

Finde deine Traumunterkunft

  • 300+ geprüfte Unterkünfte
  • Freundliche Gastgeber
  • Datensicherheit
Jetzt Freizeitangebote im
Märkischen Sauerland online buchen
Jetzt Unterkünfte in Altena buchen