Ein schlauer Kopf

Eugen Schmalenbach aus Halver stellt die Weichen für seine Zukunft


1900. Das 20. Jahrhundert beginnt. Manche Menschen blicken ängstlich in die Zukunft. Viele neugierig. Einige sogar zuversichtlich. Zu letzteren gehört der aus Halver stammende Eugen Schmalenbach.

Für ihn beginnt nach dem sehr guten Abschluss seines Studiums an der Handelshochschule Leipzig ein neuer Lebensabschnitt, in dem er sich – einzelnen Rückschlägen zum Trotz – Schritt für Schritt den Weg in eine erfolgreiche Zukunft ebnet. 

 


Eugen Schmalenbach ließ die Hand mit dem Brief sinken. Mit der anderen nahm er den Kneifer von der Nase. Sein Vater war schon immer ein Freund klarer Worte gewesen. Auch in diesem Schreiben:  Unmissverständlich brach er den Kontakt zu seinem Sohn ab. Schmalenbach wusste zwar, dass seine Eltern wenig erfreut gewesen waren, als er den väterlichen Betrieb vor zwei Jahren unvermittelt verließ, um in Leipzig an der ersten deutschen Handelshochschule zu studieren. Denn eigentlich war er als  Nachfolger vorgesehen. Doch das hier war ein Schlag.

Nach dem sehr guten Abschluss seines Studiums hatte Schmalenbach vor kurzem angekündigt, definitiv nicht mehr in den Kleineisenbetrieb des Vaters zurückzukehren. Dennoch war er davon ausgegangen, dass sich Vater und Mutter über seinen aussichtsreichen Werdegang zumindest freuen würden. Zumal er sich gerade mit Marianne verlobt hatte. Doch dass die Schwiegertochter in spe jüdischen Glaubens war, stieß auf Ablehnung. Die Eltern zogen einen Schlussstrich, brachen den Kontakt zu Schmalenbach ab. Nachdenklich setzte er den Zwicker wieder auf und las den Brief erneut. Schmalenbach könne nicht mit weiterer Unterstützung der Familie rechnen, stand da. 


Ein Freibrief für Eugen Schmalenbach

Er nahm den Kneifer von der Nase, steckte ihn in die Brusttasche seines Jacketts und strich mit den Fingern über seinen Kinnbart. Den völligen Bruch bedauerte er. Er würde seinen Heimatort vermissen. Die Familienzusammenkünfte im kleinen sauerländischen Weiler bei Halver, durch dessen Tal sich der namensgebende Schmalenbach als Zufluss der Ennepe zog, und in dem er mit der Mutter und seinen Geschwistern bis zur Jugend lebte. Das Elternhaus mit dem großen Garten, in dem sich Vater und Mutter inzwischen nur noch selten aufhielten, seit die Fabrik im hessischen Butzbach war. 

Um die Zuwendungen machte er sich allerdings weniger Sorgen. Ohne Frage war das Geld von zu Hause eine willkommene Stütze gewesen. Andererseits wurden seine Artikel seit der Veröffentlichung seines Aufsatzes Buchführung und Kalkulation im Fabrikgeschäft in der Deutschen Metall-Industrie-Zeitung, dem Organ des Bergischen Fabrikanten-Vereins zu Remscheid, gerne genommen. Er hatte also begonnen, in bescheidenem Umfang eigenes Geld zu verdienen. Erneut zog Schmalenbach den Zwicker hervor, las den Brief ein weiteres Mal. Im Grunde war es auch ein Freibrief, denn über seine Entscheidungen wäre er ab jetzt niemandem mehr Rechenschaft schuldig. Und so würde ihn auch niemand mehr daran hindern, der Empfehlung seines Dozenten Prof. Dr. Karl Bücher zu folgen und sich an der Universität Leipzig für das Fach Nationalökonomie einzuschreiben. 



Das zweite Studium und …

Kurze Zeit darauf nahm Schmalenbach tatsächlich das Studium der Nationalökonomie in Leipzig auf. Sein Steckenpferd war zwar noch immer die effiziente Buchhaltung, Kalkulation und Organisation in Fabriken und Betrieben, doch auch in der Nationalökonomie gab es für ihn viel zu lernen. Das Studium eröffnete ihm die größeren Zusammenhänge. Das Geld war jedoch knapp, obwohl er sich immer mehr zu einem gefragten Autor mauserte und seine journalistische Arbeit parallel zum Studium fortsetzte. 

Aus Sparsamkeit verzichtete er auf so manchen Gasthausbesuch mit Studienkollegen. Ein Umstand, den er als geselliger Mensch sehr bedauerte. Doch er war überzeugt, dass ihn bessere Zeiten erwarteten. So schrieb er fleißig Artikel um Artikel über Betriebsführung für die Deutsche Metall-Industrie-Zeitung – stets unmissverständlich und klar formuliert, wie er es von seinem Vater kannte. Positive Resonanz auf seine Ausführungen gab ihm recht und so gewann er schnell das Vertrauen des Herausgebers Karl Wilhelm Türck


… die erste berufliche Chance

Eines Frühsommertags im Jahr 1900 erhielt Schmalenbach ein Telegramm von Türck. Er erschrak, fürchtete im ersten Moment um seine Einkommensquelle. Doch er konnte schnell aufatmen: +++ Brauche Vertretung in den Sommermonaten +++ STOP +++ Bitte übernehmen Sie +++ STOP +++ Einzelheiten per Post +++ STOP +++ Verbindlichst +++ STOP +++ Türck +++ STOP 

Schmalenbach nahm den Zwicker von der Nase und strich sich über den Kinnbart. Was für gute Nachrichten! Er beglückwünschte sich selbst und telegraphierte seinerseits Zustimmung. Das musste er Marianne berichten. Sie würden sich ohnehin beim wöchentlichen Konzert im Zimmermannschen Kaffeehaus sehen. Sicherlich wäre sie ebenfalls erfreut über diese Perspektive. Und er würde zur Feier des Tages ein Glas Wein spendieren.  

Als Schmalenbach ihr am späten Nachmittag die Neuigkeit eröffnete, hob Marianne vor Überraschung die Hände an die Wangen,. „Nein!“, rief sie aus. „Welch glückliche Fügung.“ Er nickte eifrig und winkte dem Ober. „Champagner“, bestellte er. Marianne legte ihm die Hand auf den Arm, wie um ihn zu stoppen. Er winkte ab. „Heute wird gefeiert“, sagte er. „Sparen kann ich morgen wieder.“ 

Einige Minuten später stießen sie an und berieten sich ausführlich, denn bei aller Freude bedeutete die Vertretung auch, dass Schmalenbach Leipzig für zwei Monate verlassen und in Remscheid arbeiten müsste. Erst als die Musiker die Bühne betraten und begannen, Robert Schumanns Romanzen für Oboe und Piano zu spielen, schwiegen sie und lauschten andächtig. 


Schritte ins Berufsleben …

Für Schmalenbach folgten beschwingte Tage. Bald erhielt er den angekündigten Brief von Türck, in dem jener nicht nur ein anständiges Honorar, sondern auch eine Bleibe sowie die Übernahme der Fahrtkosten avisierte. Tatsächlich waren es nur wenige Tage bis zur Abfahrt und so begann er schnell mit den Vorbereitungen. Vor allem musste er seine Notizen für die Texte zusammenstellen, an denen er bereits arbeitete.

Während die Studienkollegen sich auf die Freizeit zwischen den Semestern vorbereiteten, freute er sich auf die Aufgabe in Remscheid – noch immer angetan vom großen Vertrauen, das Türck ihm damit entgegenbrachte. Für die Verlobten nahte schon bald der Tag des Abschieds auf Zeit. Doch da dieser nur vorübergehend war, nahmen sie ihn nicht sehr schwer. Am Bahnhof versprachen beide, sich täglich zu schreiben.  

In Remscheid angekommen, fand sich Schmalenbach schnell in seine Aufgaben hinein. Sein Tag war erfüllt mit dem Lesen von Nachrichten und Manuskripten sowie Abstimmungsrunden mit der Redaktion und dem Verleger. Wie der Verleger stand Schmalenbach in Kontakt mit einigen Verbandsmitgliedern, einflussreichen Vertretern der regionalen Metallindustrie. Seinen eigenen Texten konnte er sich meist erst gegen Abend widmen. 

In denen befasste sich Schmalenbach zu jener Zeit besonders mit seinen Beobachtungen zu Entwicklungen in der deutschen Wirtschaft. Für seine Begriffe waren Syndikats-Bildungen gefährlich für den freien Wettbewerb. Wie man es von ihm bereits gewohnt war, formulierte er seine Analysen scharf, streckenweise beinahe ironisch, und ohne Rücksicht auf etwaige Befindlichkeiten. Und stets, wenn er sein Tagwerk vollendet hatte, las er die Post seiner Liebsten und schrieb ihr zurück.


… die nicht jedem gefallen

Eines Morgens kam Schmalenbach beschwingt in den Verlag. Auf dem Weg hatte er einen Brief an Marianne aufgegeben. Er vermisste sie, doch ihr Wiedersehen rückte langsam näher. Kaum hatte er an seinem Schreibtisch Platz genommen, trat der Verleger ins Büro – ohne anzuklopfen. Kein gutes Vorzeichen, das erkannte Schmalenbach  sofort. „Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?“, tobte der Verleger, ohne sich Zeit für einen Gruß zu lassen. Schmalenbach erhob sich. „Guten Morgen“, antwortete Schmalenbach, äußerlich ungerührt, mit einer leichten Verbeugung. „Welche guten Geister?“, fragte er, obwohl ihm die Antwort bereits schwante.

„Schmalenbach, wie können Sie es wagen, unsere Unternehmen derart anzugehen“, stieß der Verleger hervor. „Welche Unternehmen?“, fragte Schmalenbach. „Werden Sie nicht frech! Sie wissen genau, wen ich meine!“, rief der andere. „Es gab Beschwerden von mehreren Verbandsmitgliedern! Sie haben mich persönlich angesprochen, dass sie sich solche Anmaßungen in der Deutschen Metall-Industrie-Zeitung verbitten!“ „In meinen Artikeln gibt es keine namentlichen Erwähnungen“, versuchte Schmalenbach zu protestieren. „Sie behandeln lediglich Beobachtungen, die der Wirtschaft meiner Meinung nach gefährlich werden können.“ 

Der Verleger machte eine Handbewegung, die wohl einen Schlussstrich darstellen sollte. „Eine solche Beurteilung steht Ihnen nicht zu, junger Mann – und schon gar nicht in meiner Verbandszeitung“, fuhr er fort. „Entweder, Sie nehmen Ihre Behauptungen in der nächsten Ausgabe zurück, oder Sie packen Ihre Sachen!“  Schmalenbach war sich sicher, dass er nichts zurückzunehmen hatte. Er hatte seine Beobachtungen journalistisch fundiert, aber eben kritisch kommentiert. Daher gab es für ihn nur eine Entscheidung. „Ich bleibe bei meiner Meinung“, sagte er. „Dann sind Sie entlassen“, antwortete der Verleger. 

Schmalenbach nickte und noch während der Verleger überrascht das Büro verließ, begann er, seinen Schreibtisch aufzuräumen. Keine Stunde später war er auf dem Weg zu seiner Unterkunft, packte sein restliches Hab und Gut und machte sich auf den Weg zum Remscheider Bahnhof.
 


Freunde der klaren Worte

Marianne war überrascht und froh, als er tags darauf vor ihrer Tür stand. Für seine Entscheidung hatte sie jedoch vollstes Verständnis. Außerdem freute sie sich, dass er zurück in Leipzig war. Für Schmalenbach blieb auch gar nicht mehr viel Zeit bis zum Beginn des nächsten Semesters und er gönnte sich ein paar freie Tage, die er mit Wanderungen im Umland verbrachte.

Mit den manchmal lieblich und manchmal rauen landschaftlichen Gegebenheiten des heimatlichen Sauerlands war die Leipziger Tieflandbucht zwar in keiner Weise zu vergleichen, doch er genoss die Flusslandschaften. 


Wie immer, wenn er in der Natur unterwegs war, ließ er die Gedanken schweifen. Nach dem Eklat in der Redaktion wollte er sich mehr denn je dem Studium widmen und auf jeden Fall wissenschaftlich arbeiten. Bedauerlich, dass er die Ergebnisse seiner Forschungen und Überlegungen nicht mehr veröffentlichen konnte, doch ansonsten hatte er den Vorfall bereits hinter sich gelassen. Immerhin hatte er sich durch die Vertretung von Türck ein finanzielles Polster erarbeitet, das würde ihn gut über die nächste Zeit bringen. Der Rest würde sich finden. 

Als er an einem dieser Abende in seine Bleibe zurückkehrte, fand er ein weiteres Mal ein Telegramm von Türck vor. +++ Zurück in Remscheid +++ STOP +++ Bleiben bei unserem Kurs +++ STOP +++ Erwarte Ihre nächsten Themen +++ STOP +++ Verbindlichst +++ STOP +++ Türck +++ STOP  Auf Schmalenbachs Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Der gute alte Türck! Wusste er doch, dass ihm seine umstrittenen Beiträge gefallen würden! Auch er war ein Mensch, der kein Blatt vor den Mund nahm und Gefahren oder Missstände benannte, wo Gefahren oder Missstände waren. Gut, dass Türck zurück war. Ein Mann, der zu Schmalenbach hielt, ohne auch nur zu ahnen, welche Berühmtheit er werden würde. 



150 Jahre Eugen Schmalenbach (1873-1955)

Eugen Schmalenbach stammte aus dem Örtchen Schmalenbach bei Halver, heute ein Ortsteil der Stadt. Während sein Vater einen Kleineisenbetrieb in Breckerfeld aufbaute, wuchsen er und seine Geschwister dort bei der Mutter auf. 1891-1994 machte er eine kaufmännische Ausbildung und war anschließend im väterlichen Kleineisenbetrieb u.a. für Buchhaltung und Kalkulation zuständig. 1898 verließ er den väterlichen Betrieb, um an der ersten deutschen Handelshochschule in Leipzig zu studieren. Nach dem erfolgreichen Abschluss im Jahr 1900 kehrte er nicht wie geplant in den väterlichen Betrieb zurück, sondern studierte an der Universität Leipzig Nationalökonomie, wo er 1901 Assistent und Bibliothekar von Professor Bücher wurde. Bereits 1902 bewarb er sich bei der neu gegründeten Handelshochschule Köln als Privat-Dozent. Seine Habilitationsschrift wurde 1903 angenommen, 1906 wurde Schmalenbach zum Professor berufen. 

Die Position als Professor in Köln wurde zur Lebensstellung. Umworben von anderen Hochschulen, lehnte er jedes andere Angebot ab. In Köln forschte er, stellte dabei immer wieder den Bezug zur Praxis her und entwickelte die Basis der Betriebswirtschaftslehre. Er verfasste Bücher, zum Beispiel zu Grundlagen der dynamischen Bilanz oder zum Kontenrahmen, die zu Standardwerken der Betriebswirtschaft wurden. Seine Hauptwerke wurden ins Französische, Englische, Spanische, Russische und Japanische übersetzt. Zum Schreiben zog er sich meistens in sein Landhaus in Halver/Schmalenbach zurück. 

Das elterliche Landhaus hatte er 1907 von seiner Mutter erworben. Dorthin lud er auch immer wieder Kollegen und Studenten ein, ein Vorläufer der später gegründeten Schmalenbach-Vereinigung. Hier fanden auch seine berühmten Geburtstagsgespräche statt. Parallel zu seiner Lehrtätigkeit wurde Schmalenbach auch zum begehrten Berater von Unternehmen. Zu seinen Kunden gehörten beispielsweise das Kaufhaus Tietz und das Unternehmen Krupp. In der NS-Zeit zog er sich aus dem Rampenlicht zurück, auch, um seine Frau Marianne zu schützen. Im letzten Kriegsjahr lebten beide versteckt bei einem seiner früheren Studenten. Schon 1945 beteiligt er sich an der Wiedereröffnung der Universität Köln und leitete dort bis ins hohe Alter das Seminar für Betriebsorganisation.
 


Wusstest du schon, dass ...

… Eugen Schmalenbach Marianne 1901, noch während seines Studiums der Nationalökonomie, heiratete?

… er ab 1903 in Köln lehrte und einen eigenen Studiengang aufbaute?

… er Zeit seines Lebens Artikel und Bücher zu betriebswirtschaftlichen Themen verfasste, darunter viele Standardwerke?

… er der Betriebswirtschaftslehre ihren heutigen Namen gab? 

… er 1906 die Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung gründete, die bis heute unter dem Namen Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung erscheint?

… er zu Zeiten der Weimarer Republik auch ein gefragter Berater bekannter Unternehmen war?

… er auch später immer wieder auf das Thema seiner umstrittenen beiden Artikel zur Syndikats-Bildung zurückkam, in der er eine Gefährdung der freien Wirtschaft sah?

… er seine Lehrtätigkeit während der NS-Zeit ruhen ließ, auch, um seine Frau zu schützen?

… er am Ende seines Lebens sechs Doktor-Titel innehatte?

… er sehr viel Zeit in seinem Landhaus in Schmalenbach bei Halver verbrachte, weil er dort die Ruhe für seine konzeptionellen Arbeiten fand?



So sah es zu Zeiten Eugen Schmalenbachs in Halver aus

Wenn du in Halver unterwegs bist, findest du heute noch Gebäude, die es zu Zeiten von Eugen Schmalenbachs Kindheit bereits gab.
Hier einige Beispiele:


Hinweis

Die Geschichte bedient sich biografischer Details von Eugen Schmalenbach und einiger seiner Zeitgenossen. Dennoch sind sie hier Kunstfiguren.
Innerhalb des belegten historischen Rahmens sind Beschreibungen, Handlungen und Situationen der Figuren fiktiv.


Literatur

Werner Sinnwell, … indem man sich selbst treu bleibt – Eugen Schmalenbach 1873-1855, Halver, 2005
 

Text: Sabine Schlüter - Die flotte Feder

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