Himmel hilf

Dorte Hilleke wird Opfer des Mendener Hexenwahns


März 1631: Wie ganz Europa steckt Menden mitten im Dreißigjährigen Krieg. Doch das schert Inquisitor Dr. hc. Christoph Osthaus wenig. Er ist mit dem Ziel nach Menden gekommen, möglichst viele Hexen und Hexer zu überführen. Als einer der gefürchtetsten Männer wird er in die Geschichte der Stadt eingehen.

Und mit ihm Dorte Hilleke, eine tiefgläubige junge Frau, die er anklagt. Sie widersteht Folterungen wie Exorzismus und unterbricht die Kette der Denunziationen. Dennoch nimmt ihr Prozess für sie keinen guten Ausgang.

 


Dorte betete. Seit man sie gestern nach der Vernehmung zu weiteren Frauen in die feuchte Kammer im Poenigeturm eingesperrt hatte, betete sie. Tränen vergoss sie nicht. Nein, um keinen Preis hätte sie gezeigt, wie ängstlich sie war. Aber sie betete, an die raue, kalte Wand gelehnt, die Hände eng aneinandergepresst. Sie hatte Glück, ihre Handgelenke waren nicht angekettet. Der Turmwächter war Rudger, der liebe Freund und Nachbar, den sie seit ihren Kindertagen kannte. Er hatte ihr die Ketten erspart. In alter Verbundenheit vielleicht. Und weil er tief im Herzen wusste, dass sie weder eine Hexe war noch versuchen würde zu fliehen.

Dorte war keine Hexe. Das wussten alle. Auch Gerdt Schrick und seine Frau Hohoff, die sie unter Folter bezichtigt hatten, der Zauberei zu frönen und am Hexentanzplatz Orgien mit Dämonen zu feiern. Sie war am 3. März beschuldigt und gestern, am 4. März 1631 im Namen des Inquisitors Christoph Osthaus angeklagt worden – so hatten es die Boten verkündet. Gerdt und Hohoff waren inzwischen bereits per Schwert getötet worden. Ihre Leichname würden schon bald auf dem Scheiterhaufen brennen. Auch sie waren sicher kein Hexer und keine Hexe gewesen.


Verrat und Furcht über der Stadt

Seit Wochen hing der beißende Feuergeruch über der Stadt. Er klebte an den Mauern, zog in die Häuser wie eine immerwährende Mahnung. Seit der Inquisitor Dr. hc. Christoph Osthaus im Februar 1631 sein Amt in Menden angetreten hatte, fanden Denunziationen ein noch offeneres Ohr als zuvor. In der Stadt herrschten Verrat und Furcht. 

Dorte betete. Rief den Herrn an, ihr Kraft zu geben für die Stunden und vielleicht Tage, die ihr bevorstanden. Sie war sicher, er würde ihr beistehen. Schließlich hatte sie ihm ihr Leben geweiht. Ihre Gedanken schweiften zur gestrigen Vernehmung im Rathaus. Vor Richter Heinrich Schmidtmann stehend hatte sie mit klarer Stimme gesagt „Das Kreuz, das mir Gott auferlegt, will ich in Geduld ertragen. Ich will die Wahrheit sagen und niemanden zu Unrecht beschuldigen, damit meine Seligkeit keinen Schaden erleidet.“ 

Christoph Osthaus hatte sodann sein Verhör begonnen. „Ist dir bekannt, dass du eine Hexe sein sollst?“, hatte der Commissarius Inquisitionis des abscheulichen und verfluchten Zauberlasters sie gefragt. „Nein“, hatte sie geantwortet. „Sind Verwandte oder Bekannte von dir hingerichtet?“ „Ja, meine Großmutter“, hatte sie gesagt. Osthaus trug daraufhin vor, dass ihr Zauberei zur Last gelegt wurde. Seine Frage „Bekennst du dich schuldig?“ hatte sie mit Nein beantwortet und dem Inquisitor dabei in seine eiskalten grauen Augen gesehen. Sie hege auch gegen niemanden Feindschaft, war sie fortgefahren. So war es und so würde es für sie bleiben. 

Doch der Richter blieb unbeeindruckt. Schmidtmann sprach: „Demnächst gütlich ermahnt, aber nicht bekennen wollen, auch keine Argumente zur Verteidigung gehabt, also ist sie zur Folter verurteilt.“ Er sah keine Beweise für ihre Unschuld, erklärte die Anklage für berechtigt und verhängte die Folter als Strafe.




Ein vorgezeichneter Weg

Mit der Linken umfasste Dorte das hölzerne Kreuz, das sie in ihrer Rocktasche verbarg. Sie wusste, was kommen würde. In der ganzen Stadt war bekannt, was Schmidmann unter gütlicher Ermahnung und Osthaus unter Folter verstanden. Die Schmerzschreie aus dem Rathauskeller, in dem die Folterknechte ihre Arbeit an den Hand- und Fußschrauben verrichteten, hatte sie selbst vernommen. Manches Mal, wenn sie auf dem Weg zur St. Vinzenz-Kirche war, schallten sogar die Klänge der Ruten aus dem tiefen Gewölbe heraus. 

Draußen dämmerte der Abend. Sie vernahm das Stöhnen und Seufzen ihrer drei Mitgefangenen, die wie kleine Elendshäufchen auf dem Boden saßen, den Kopf auf den Knien, eine Hand auf halber Höhe an der Kette. Dorte legte die Hände wieder zum Gebet aneinander. Unvermittelt klirrte ein Schlüssel im Schloss. Rudger betrat die Zelle, ergriff ihren Arm und führte sie wortlos hinaus. Die Mitgefangenen hoben nicht einmal den Kopf. Er brachte sie in den Wächterraum, wo der Pastor Stracke wartete. „Leise“, sagte er, legte den Finger an die Lippen, nickte und verließ den kleinen Raum. 



Dorte fiel sogleich vor ihm auf die Knie. Stracke nahm ihre Hände und flüsterte tröstende Worte. Auch ihm gegenüber betonte sie, dass die Anklage absurd sei, sie keineswegs der Zauberei anhänge. Dennoch sehe sie, dass ihre Situation aussichtslos sei und wolle mit sich im Reinen das Leben verlassen. „Möchtest du beichten, mein Kind?“, fragte er. Dorte nickte und begann sogleich zu sprechen, da sie ihre Entdeckung fürchtete – mit schlimmen Folgen für Rudger und den Pastor. Stracke hörte zu, als Sünden hätte er nicht bezeichnet, was er hörte. Dann legte er ihr die Hand auf den Kopf und segnete sie. Die geheime Zusammenkunft war beendet. Auf dem Weg in die Zelle drückte sie Rudger zum Dank die Hand. 

Im Verlies lehnte sich Dorte wieder an die Wand. Es stimmte, was sie vor Richter Schmidtmann gesagt hatte: Das Kreuz, das Gott ihr auferlegt hatte, wollte sie in Geduld ertragen. Sie setzte sich, legte den Kopf auf die Knie und schlief ein. Erneutes Schlüsselklirren weckte sie. Durch die Schießscharte fiel das Licht des grauenden Tags. Rudger führte Dorte zu den wartenden Stadtdienern, die sie zum Rathaus bringen sollten. Dieses Mal ins Kellergewölbe.


Wusstest du schon, dass ...

… sich im Keller des damaligen, heute nicht mehr vorhandenen Rathauses in Menden die Folterkammer mit Schraubzwingen für Hände und Füße befanden?

… Dorte Hilleke gefoltert wurde, keine Regung zeigte, weiterhin ihre Unschuld beteuerte und niemanden denunzierte, bis sie schließlich ohnmächtig wurde? 

… stattdessen Pastor Stracke im Auftrag des Richters den kirchlichen Exorzismus an ihr vornehmen musste? 

… Dorte nach dieser Prozedur weiterhin ihre Unschuld beteuerte?

… sie am 10., 14., und 20. März 1631 weitere Male gefoltert und am 20. März 1631 nochmals verhört wurde, aber stets ihre Unschuld beteuerte und niemanden denunzierte?

… sie anschließend nochmals schwer mit Schraubzwingen gefoltert und auch gepeitscht wurde, ohne von ihrer Unschuldbeteuerung abzuweichen und jemanden zu denunzieren?

… sie vermutlich bei dieser letzten Folterung verstarb?

… es heißt, dass durch ihr Schweigen die Kette der Denunziationen in Menden riss und sie zum Ende der Hexenprozesse in Menden beitrug?

… das historische Rathaus mit Gerichtssaal und Folterkeller nicht mehr besteht?  In den drei großen Stadtbränden ist vieles verloren gegangen.

… die Stadt Menden die städtische Bücherei am 12. April 1994 in Gedenken an diese tapfere Frau in Dorte-Hilleke-Bücherei umbenannt hat?


Mendener Hexenverfolgung im 17. Jahrhundert

Zwischen 1592 und 1631 fanden in Menden immer wieder Hexenverfolgungen und Hexenprozesse statt. Die Menschen glaubten an das Hexenwesen und suchten bei Katastrophen wie Seuchen, Bränden, Hungersnöten oder Missernten nach Schuldigen. Viele Menschen wurden vermeintlich als Hexen und Hexer denunziert, ohne große Untersuchung angeklagt und vor Gericht gestellt. Unter Folter denunzierten sie weitere Menschen, Hexe oder Hexer zu sein. Die Angeschuldigten waren angeblich einen Pakt mit dem Teufel eingegangen und hatten im Gegenzug Zauberkräfte erhalten, die sie gegen die Mitmenschen richteten. Manchen Hexen sagte man gar die Teufelsbuhlschaft nach.  

Für 1628 bis 1631, den Mendener Hexenwahn, sind 47 Protokollen nachgewiesen, darunter der Prozess gegen Dorte Hilleke. Aufgrund der dortigen Denunziationen ist von mehr als 100 Menschen auszugehen, die dem Hexenwahn zum Opfer fielen. Dr. hc. Christoph Osthaus, der am 18. Februar 1631 seinen Dienst in Menden antrat, galt als besonders harter Inquisitor und war in der Stadt der meistgehasste Mann seiner Zeit.

Menden war nicht die einzige Stadt im damaligen, zu Kurköln gehörenden, Herzogtum Westfalen. Im Kurkölner Sauerland wurden sehr viele Menschen als Hexen oder Hexen verurteilt und hingerichtet. 
 



Historische Orte in Menden

Einige Schauplätze der Hexenverfolgung kannst du auch im heutigen Menden noch entdecken.

 Der Poenigeturm zum Beispiel war damals das Gefängnis. Die Geschichtssäule Menden erinnert an die Hexenprozesse. 


Hinweis

Die Geschichte bedient sich biografischer Details von Dorte Hilleke und einigen Zeitgenossen. Dennoch sind sie hier Kunstfiguren.
Innerhalb des belegten historischen Rahmens sind Beschreibungen, Handlungen und Situationen der Figur fiktiv.


Literatur

Stadt Menden, der Stadtdirektor (Hrsg.): Wer war Dorte Hilleke? Ein geschichtlicher Abriss über die Hexenprozesse in Menden und eine Übersicht über die Geschichte der Stadtbücherei, Menden

Kranz, Gisbert: Mendener Recht und Gericht - Hexenprozesse 1592-1631, Menden, 1929

Schulte, Anton: Mendener Köpfe. Stadtgeschichte in Kurzbiographien, S. 79-81, Menden, 1989

Kranz, Gisbert: Mendener Recht und Gericht - Hexenprozesse 1592-1631, Menden, 1929

Wikipedia, Hexenverfolgung im Herzogtum Westfalen (https://de.wikipedia.org/wiki/Hexenverfolgung_im_Herzogtum_Westfalen), zuletzt abgerufen am 17. April 2023
 

Text: Sabine Schlüter - Die flotte Feder

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