Von Streuobstwiesen und Honigbienen im Märkischen Sauerland

Für die Bewohnerinnen eines Bienenstocks ist eine Streuobstwiese ein Schlaraffenland. Und das während der ganzen Vegetationsperiode, denn es gibt nicht nur die Blütenpracht der Bäume, sondern auch noch das Erdgeschoss. Berta, Belinda und Babette machen auf ihren Flügen ihre ganz eigenen Entdeckungen und experimentieren gerne mit der einen oder anderen Nektarmischung. Manchmal schauen sie dabei etwas tief in den Blütenkelch.   


Mitten im Frühling

„Wer hat Gravensteiner getankt?“, brüllt die Vorarbeiterin durch den Stock. „Gravensteiner sofort zum Andocken!“ Berta gerät ins Schwitzen. „Ich!“, krächzt sie und hebt sich ein Stück in die Lüfte. „Nicht fliegen!“, donnert es aus der Mitte, dort, wo die Königin auf die Fütterung wartet. „Noch jemand?“, schreit die Vorarbeiterin. Eine Arbeiterin ruft „Rettungsgasse!“ und mitten im Gewimmel tut sich für Berta ein Pfad auf, damit sie schneller ans Ziel kommt. Ein paar andere Honigbienen folgen ihr. „Im Stock wird nicht geflogen!“, wiederholt die Vorarbeiterin streng, als Berta prustend ankommt.

„Ja, Elfriede, ich weiß“, antwortet diese. „Aber es klang so dringend.“ „Ist es auch, Königin Martha hat gerade einen Riesenappetit!“, sagt sie. „Wahrscheinlich legt sie heute Nacht wieder einen ganzen Schwung Eier“, fügt sie leise hinzu. Kommt es Berta so vor, oder zucken Elfriedes Facettenaugen augenrollmäßig? Jedenfalls ist sie inzwischen bei der Königin angekommen, hat sich vor ihr in Position gebracht und lässt sie am Nektar saugen.

Wie gut, dass sie sich selbst vorher ein Schlückchen gegönnt hatte. Von irgendetwas muss schließlich auch eine Arbeiterin leben. Und – da pflichtet sie der Königin bei – der Nektar vom Gravensteiner ist echt eine Wucht. Wenn der Baum nur nicht so weit vom Stock entfernt wäre.

Die Königin schmatzt. Und zuckt spürbar zusammen, als Elfriede erneut brüllt: „Noch jemand Gravensteiner? Wir brauchen Nachschub! Das muss schneller gehen, zack zack!“ Berta kippt vor Schreck auf die Seite, mit leerem Tank ist es nicht so einfach, das Gleichgewicht zu halten. „Los, pack die Pollen in die Waben,“ raunt Elfriede ihr noch zu. Als wenn Berta das nicht selbst wüsste. Sie schwankt davon, bereit, ein Stockwerk tiefer ihr Pollenhöschen auszukippen.



Apfelblüten à la carte

Im Augenwinkel sieht sie noch, wie Belinda sich durch die Rettungsgasse nähert. Wie immer wirft sie sich in Pose, wackelt ein wenig mit dem Hinterteil. „Gemach, Gemach!“, sagt sie keck. „Ich bin ja schon da!“ Für Berta klingt es so, als hätte Belinda mehr als nur einen kleinen Schluck vom Gravensteiner Nektar genossen. Doch das soll nicht ihr Bier sein.

Kurz darauf macht sich Belinda neben ihr an benachbarten Waben zu schaffen. „Noch eine Runde Gravensteiner, hicks?“, fragt sie Berta. Die nickt bloß und bewegt sich bereits in Richtung Flugloch. „Drei, zwei, eins – go!“, ruft Belinda hinter ihr und wirft sich ins Licht. Wie viele andere neben und hinter ihr. Scheinbar war die Königin dann doch nicht mehr so wählerisch. „Prinzenapfel!“, schallt Elfriedes Stimme hinter ihnen her. „Prinzenapfel, edel!“, ruft Belinda. „Und nebenan ist gleich die Große Grüne Reneklode. Was hältst du von einem Mixed Nektar?“, fragt sie Berta.

„Gar nichts“, sagt Berta und fliegt den Bogen in Richtung Gravensteiner. Belinda holt sie schnell ein. „Manchmal bist du eine echte Langweilerin“, sagt sie. Berta runzelt die Stirn. „So ein Quatsch!“, sagt sie. „Der Gravensteiner steht in voller Blüte! Das müssen wir ausnutzen!“ „Und so vernünftig!“, ergänzt Belinda und legt einen Zwischenstopp beim Rheinischen Krummstiel ein. „Auch nicht schlecht“, murmelt sie. „Hicks.“

Wenig später schließt sie wieder zu Berta auf. Hinter den beiden summt es plötzlich gewaltig. Erschrocken werfen sie einen Blick hinter sich. Scheinbar haben sich rund 1.000 Bienen entschlossen, ebenfalls Gravensteiner zu tanken. „Oh nein!“, sagt Belinda. „Der gute Stoff!“ „Nachäffer“, seufzt Berta. Beide verdoppeln die Flügelschläge und erreichen den Baum zuerst. Immerhin kennen sie sich schon bestens aus und wissen, welche Blüten sie bereits ausgesaugt haben.

Doch angesichts der Menge an Kolleginnen ist der Vorteil schnell verspielt. Um den ganzen Baum summt es jetzt wie verrückt. Und es sind ja nicht nur Honigbienen, sondern auch verschiedene Wildbienen aus dem Insektenhotel, Hummeln und sonstige Insekten unterwegs. Man könnte meinen, der Gravensteiner Apfelbaum hätte einen Motor angeworfen. Doch der wiegt sich nur sanft im Wind, froh um jede Honigbiene, die sich an seinen Blüten bedient.

Berta und Belinda sind bereits wieder auf dem Rückflug. „Hey, Mädels!“, ruft plötzlich Babette von hinten. „Wartet auf mich.“ Schwungvoll schließt sie zu den beiden auf. „Lasst uns schnell liefern, und dann habe ich noch einen sehr geschmackvollen Geheimtipp für euch. Habe ich vorhin erst entdeckt!“, verkündet sie. „Ui, klingt gut!“, sagt Belinda und fliegt einen Slalom. „Hm“, sagt Berta. „Wollen wir nicht warten, was Elfriede sagt?“, fragt sie. „Ach was“, sagt Belinda. „Wir sind doch proaktiv! Beim Gravensteiner wäre die Königin ohne uns auch nicht auf den Geschmack gekommen.“ „Genau!“, bestätigt Babette.  



Vielfliegerinnen in Aktion

Gesagt, getan. Schnell liefern die drei Nektar und Pollen ab. Dann machen sie sich unter Babettes Leitung auf den Weg. „Tatatata!“, ruft die dann. „Darf ich vorstellen: Schöner von Nordhausen. Lecker!“ Belinda hat schon gekostet. „Ui! Stimmt!“, sagt sie. „Und auch mal was anderes, als immer die ganzen Prinzen.“ „Prinz Albrecht von Preußen, Doppelter Prinzenapfel, Finkenwerder Herbstprinz“, murmelt Berta. „Die Jungs können wir von mir aus vergessen, aber bei der Großen Prinzessin sollten wir nochmal vorbeifliegen. Die heißt auch Königskirsche und ist, davon abgesehen, wahnsinnig köstlich! Aber schon fast verblüht! Die dürft ihr euch auch nicht entgehen lassen.“

„Wahnsinnig köstlich! Du bist ja niedlich“, kichert Belinda, indem sie aus einer Blüte wieder auftaucht. „Hatten wir nicht gerade gesagt, wir nehmen etwas Abstand vom Adel und saugen die Bürgerlichen aus?“ Berta rauft sich die Fühler. „Bleib‘ doch mal ernst“, sagt sie. „Es geht hier um Vielfalt!“ „Vielblüten, meinst du wohl“, sagt Babette. „Vielblüten per Vielfliegerin.“ Belindas Stimme klingt hohl. „Also ok, von mir aus“, fährt Babette unbeirrt fort. „Aber lasst uns erst den Schönling wegbringen. Seid ihr schon vollgetankt?“ „Moment noch, hicks“, tönt Belinda aus einer Blüte.

Gemeinsam machen sie sich zurück auf den Weg zum Bienenstock, wo Babette und Belinda Berta an die Spitze schubsen, da sie den besten Draht zu Elfriede hat. Die hatte gerade wieder nach dem Doppelten Prinzen geschrien und ist etwas konsterniert, als ihr die drei etwas vom Schöner von Nordhausen erzählen. Sie wackelt mit dem Kopf. Doch bevor sie Nein sagen kann, schiebt ihr Babette ein bisschen des duftenden Nektars zu. Elfriede testet und raunzt: „Ein guter Tropfen!“, und gibt ihnen das Zeichen, sich zum Andocken bereitzumachen. 

Nach getaner Arbeit im Stock fliegen die drei beschwingt wieder los und nehmen sich erstmal Bertas Geheimtipp, die Große Prinzessin vor. Anschließend darf Belinda endlich ihren Mix aus Doppeltem Prinzenapfel und Großer Grüner Reneklode ausprobieren, die in voller Blüte steht. Die drei sind sich einig, dass es sich um eine sehr innovative Mischung handelt. Im Stock lassen sie Elfriede wieder vorkosten, sie probiert und winkt sie durch.


Süße Birnenverlockung

„Sollen wir jetzt mal einen Verschnitt aus drei Birnen testen?“, fragt Babette. „Au ja! Super Idee“, ruft Belinda und schlägt einen Luftpurzelbaum. Berta versucht, sich im Flug die Fühler zu putzen, um Zeit zu gewinnen. Keine gute Idee, fast stürzt sie ab. Darum stimmt sie einfach zu. Babette führt wieder: „Doppelte Phillipsbirne, Gellerts Butterbirne und die Gräfin von Paris liegen direkt hintereinander“, berichtet sie. „Total praktisch!“ Berta fliegt ganz am Ende, während Belinda in der Mitte schon wieder ein Kunststückchen vollführt. „Total praktisch. Na, gut“, wiederholt Berta und stürzt sich kopfüber in eine Phillipsbirnenblüte.

„Hm. Hmm. Hmmm! Gar nicht schlecht!“, denkt sie und macht gleich bei der nächsten Blüte weiter. Sie bemerkt, dass auch verschiedene Schmetterlinge auf den Birnengeschmack gekommen sind. Pfauenaugen und Zitronenfalter flattern um sie herum. „Butterbirne!“, ruft Babette und kurz darauf „Gräfin!“  Mittlerweile sind alle drei total aufgekratzt. Das war wirklich eine brillante Idee von Babette.

Schwer bepackt machen sie sich wenig später auf den Rückweg. Belinda kann nicht einmal mehr Slaloms fliegen, so schwer ist sie. Stattdessen hören die beiden anderen von Zeit zu Zeit ihren Schluckauf. „Da denkt einer an sie und küsst `ne andere“, flüstert Babette Berta zu. „Aber uns küsst doch niemand“, antwortet die erschrocken. „War ein Scherz!“, antwortet Babette, während sie das Flugloch ansteuert.

„Ach so!“, sagt Berta, übernimmt freiwillig die erste Position und steuert geradewegs auf Elfriede zu. „Cuvée des Poires“, sagt sie dort und schenkt ihr einen Tropfen. Elfriede lächelt in sich hinein, probiert und denkt sich „Ein hervorragender Nektar.“ Dann winkt sie die drei zufrieden durch zur Königin. „Wer hat den Finkenwerder Herbstprinz“, brüllt sie. „Und ihr“, sagt sie zu Berta, Belinda und Babette. „Ihr bringt mir die Birnen-Cuvée nochmal. Spezialauftrag!“  

Kichernd verlassen die drei Honigbienen den Stock. Das war ja fast sowas wie ein Ritterinnenschlag. Wenn man davon absieht, dass das nur die Königin könnte. Aber die ist ja die ganze Zeit am Futtern. Für Berta, Belinda und Babette jedenfalls beginnt eine gute Zeit. Ständig fallen ihnen neue Kreationen ein. Aus den Pflaumen und Zwetschgen The Czar, Wangenheims Frühzwetschge und Graf Althanns Reneklode mischen sie den nächsten Verschnitt, bevor sie sich an mehrere Apfelnektar-Mixe machen.

Hier ist die Auswahl besonders groß: Sie nennen ihre Kombi aus Rheinischem Bohnapfel, Rheinischem Krummstiel und Rheinischem Winterrambur Die Rheine Freude. Im Anschluss ergänzen sie den Horneburger Pfannkuchenapfel um zwei Jacobs (Fischer und Lebel) zum Jacobi-Schluck und versuchen dann nochmal, das Letzte aus verschiedenen Kirschblüten rauszuholen.



Durchstartender Sommer

Die Tage und Wochen vergehen, irgendwann geht auch die Apfelblüte zu Ende. Eines Abends beruft Elfriede eine Versammlung ein. „Meine Damen“, sagt sie. „Die Königin wird in wenigen Tagen mit der Hälfte von euch ausschwärmen und eine neue Heimat suchen. Die neue Königin steht kurz vor der Schlupf, das habt ihr gut gemacht. Ich werde auch der jungen Königin dienen. Egal, ob ihr die neue Königin begleitet oder hier bleibt: Seid weiter so fleißig wie bisher. Und denkt daran, die Blüten findet ihr jetzt im Erdgeschoss. Vergesst die Baumkronen. Die Kirschen sind schon geerntet oder die Vögel haben sie sich geholt, die Pflaumen sind auch bald dran. Die Birnen und Äpfel reifen jetzt – auch dank euch – zu schönen Früchten.“

Nach ihrer Ansprache nimmt sie Berta, Belinda und Babette zur Seite und ordnet an: „Ihr bleibt bei der jungen Königin!“ Den dreien – sie haben sich inzwischen insgeheim den Namen Die drei Bebatiere gegeben – soll es Recht sein. Sie haben ihr Leben der Königin verschrieben und ob die jetzt jung oder alt ist, spielt wirklich keine Rolle.

Im Erdgeschoss haben sie sich längst umgesehen und schon begonnen, neue Rezepturen auszuprobieren. Schließlich hatten sie schon damit gerechnet, dass Elfriede nicht auf sie verzichten kann. Dort unten herrscht besonders reger Betrieb, denn hier sind nicht nur die fliegenden Insekten unterwegs, sondern auch die krabbelnden. Aber man kommt sich nicht ins Gehege, schließlich ist genug für alle da.

Die nächsten Tage werden nochmal besonders herausfordernd. Die alte Königin braucht Kraftnahrung, damit sie stark genug zum Fliegen ist und die junge Königin guten Stoff, damit sie schnell schlüpfen kann. Aber die Bebatiere sind ja nicht allein, sondern haben insgesamt noch ungefähr 50.000 Arbeiterinnen-Kolleginnen. Und so holen die Bienen Nektar aus Glockenblumen, Ziest und Witwenblumen.

Plötzlich und ganz unvermittelt hebt die alte Königin dann im Bienenstock ab und begibt sich zum Flugloch. Wie selbstverständlich und völlig unaufgeregt folgt ihr ein Schwarm von rund 25.000 Arbeiterinnen. Eine von ihnen wird Elfriedes Posten übernehmen, doch für Berta, Belinda und Babette ist das unerheblich. Sie wollten sowieso nie etwas anderes sein, als Arbeiterinnen. Denn, mal ehrlich, wo sonst hat man so viel Spaß?



Alles für die junge Bienenkönigin

Die junge Königin liegt genauso plötzlich an der Stelle, wo früher Königin Martha lag. Sie nennt sich Brunhilde und keiner mag beurteilen, ob das eine gute Namenswahl ist. Berta, Belinda und Babette begrüßen immerhin, dass der Name mit B anfängt und beginnen, ihre speziellen Mixturen anzubieten. Die Königin dockt an und ist augenscheinlich sehr zufrieden, denn manchmal seufzt sie wohlig. Vielleicht bereitet sie sich aber auch einfach innerlich auf den Hochzeitsflug vor. Die Drohnen warten schon und bei Pferden würde man wahrscheinlich sagen, sie scharren mit den Hufen. Doch die Arbeiterinnen wissen, dass deren Tage gezählt sind. Und es ist nicht ganz klar, ob die Drohnen selbst das ebenfalls wissen. 

Am großen Hochzeitstag bleiben die Arbeiterinnen im Stock und bereiten die Waben vor. Sie wollen gar nicht so genau wissen, was da draußen passiert. Die Königin kehrt zurück, die meisten Drohnen hingegen nicht. Denn wer als Drohne seinen Dienst getan hat, fällt tot vom Himmel. Die wenigen übrig Gebliebenen werden den Stock bald verlassen müssen. Sehr bald sogar. Immerhin: lebendig. An Berta, Belinda und Babette geht dieser Spuk, der die nächste Generation schaffen wird, vorbei. Sie sind völlig fokussiert auf ihre Aufgaben und genießen die Flüge in der Sonne.

„Können wir heute die Flockenblume probieren?“, fragt Berta. „Sie ist so hübsch und hat so viele kleine Kelche.“ Belinda und Babette willigen ein, denn tatsächlich ist ihnen dieses kugelige Blütenwerk entgangen. „Nicht schlecht, Herr Specht“, sagt Babette, nachdem sie gekostet hat. „Lass bloß den Specht aus dem Spiel. Der kommt glatt auf die Idee, uns zu fressen!“, meckert Belinda. 

„Ach was, der soll mal selber aufpassen, dass ihn kein Bussard fängt“, gibt Babette zurück. „Die mögen doch Mäuse viel lieber! Apropos viel lieber: Ich mag die Blüten viel lieber, in die ich richtig reinkrabbeln kann. Lasst uns einen Mix aus Lichtnelke und Storchschnabel probieren“, sagt Belinda und fliegt einen Slalom. „Ok“, sagt Berta. „Aber jetzt bringen wir erstmal die Flockenblume weg.“ 

Schwungvoll geht es in Richtung Bienenstock, wo Elfriede sie gleich passieren lässt. Flugs sind die drei wieder in der Luft und erreichen eine Gruppe blauer Storchenschnäbel. Was für ein Blau. Berta ist ganz verzückt, während Belinda schon wieder der Appetit treibt. Sie verschwindet in einer Blüte. Auch Babette hat sich für einen ersten Landeplatz entschieden. 


Begegnung in Blau

Berta hängt noch immer ganz fasziniert in der Luft, als unvermittelt etwas Blaues an ihr vorbeischrammt und sie ins Trudeln bringt. „Eine Blüte?“, denkt sie noch, da liegt sie schon am Boden. „Eine blaue Blüte von oben?“, fragt sie sich und stellt fest, dass sie nicht allein ist. Neben ihr hat ein Schmetterling schwere Schlagseite, ein blauer Schmetterling. Ein an der Oberseite sehr blauer, mit einem Flügel zaghaft flatternder Schmetterling. 

„Oh!“, haucht sie. „Ein Bläuling!“ Er blickt sie an, mit seinen Facettenaugen. „Oh!“, haucht sie nochmal. „Bist du schön.“ Ihre eigenen Facetten formen zwei Herzen. Er räuspert sich. „Entschuldige, ich muss dich übersehen haben. Die Kollision tut mir leid!“ „Macht ja nichts. Ich hing ja auch irgendwie in der Luft.“ „Ja, vielleicht“, sagt er. Berta summt schon wieder 20 Zentimeter über dem Boden. 

„Kannst du stehen?“, fragt sie, während sich Belinda und Babette neugierig zu ihr gesellen. Er nickt, denn er hat sich mittlerweile aufgerichtet, seine Flügel ragen senkrecht in die Höhe, dann öffnet er sie. „Hicks“, macht Belinda und entschuldigt sich sofort. „Kannst du fliegen?“, fragt Berta, obwohl sie gar nicht will, dass er fliegen kann. Zumindest nicht wegfliegen. 

Er probiert vorsichtig zu flattern und nickt. Dann hebt er mit eleganten Schwüngen ab, schimmert mal blau, mal grau. „Sehen wir uns wieder?“, ruft Berta ihm hinterher. „Ja, vielleicht“, ruft er zurück, während er in großer Höhe davonschwebt. Berta sinkt erneut zu Boden, in ihren Augen schimmern die Facetten. Belinda hockt sich dazu. Auch Babette landet.

„Na, der hat dich ja ausgeknockt“, sagt sie zu Berta. „Wie meinst du das?“, fragt diese. „Du bist ja hin und weg!“, sagt Babette. Berta schweigt verträumt und Belinda macht „Hicks!“ „Du auch!“, wendet sich Babette an Belinda. „Gar nicht!“, antwortet die. „Hicks!“ „Mädels, vergesst es. Das war eine Ringeltaube!“ „Nein, das war ein Schmetterling, ein Bläuling sogar. Sehr selten heutzutage“, korrigiert Berta sie. „Du weißt genau, was ich meine“, antwortet Babette. „Los, wir haben noch einiges zu tun. Wir waren bei den Storchenschnäbeln und wollten danach zu den Lichtnelken.“ „Ja, ja“, sagt Berta und fliegt erstmal einen Slalom.

Wie gewohnt übernimmt sie im Bienenstock die Führung. Sie wackelt dabei so sehr mit dem Hinterteil, dass sich Belinda und Babette vielsagend ansehen. „Was ist denn mit dir los?“, fragt Elfriede Berta. „Ich hatte einen kleinen Zusammenstoß“, antwortet die. „Nichts Schlimmes.“ „Na Hauptsache, dein Tank und dein Pollenhöschen sind voll.“ „Oh, vielen Dank für die Anteilnahme“, sagt Berta. 

„Was ist denn mit der los?“, fragt Elfriede Belinda. „Die Hormone“, antwortet sie schelmisch. „Die Hormone? Wo will sie die denn herhaben? Wir haben doch gar keine.“ „Na ja, dann eben Glückshormone“, mischt Babette sich ein. „Wir haben übrigens eine tolle Mischung aus Storchenschnabel und Lichtnelke mitgebracht. Schon probiert?“



Das Rad der Jahreszeiten

Auch in den nächsten Wochen sammeln die Bienen fleißig weiter, die Wiesen bleiben ein reich gedeckter Tisch und die Bebatiere kreieren immer wieder leckere Kombinationen. Zuletzt spezialisieren sie sich auf Mischungen aus bunten Blüten und Gräsern. Berta ist manchmal nicht mehr ganz bei der Sache. Ihr Blick schweift immer mal wieder sehnsuchtsvoll über den Horizont, auf der Suche nach silbrig-blauen, elegant schlagenden Flügeln. 

Babette macht dann flotte Sprüche und Belinda schlägt Luftpurzelbäume, um sie in die Bienenrealität zurückzuholen. Irgendwann hat Berta tatsächlich andere Probleme, denn die Blumenwiese wird gemäht und von einem Tag auf den anderen ist der Selbstbedienungsladen vor dem Bienenstock nicht mehr gut bestückt. Die drei Bebatiere müssen jetzt weiter fliegen, runter ins Hälvertal, wo noch Blüten zu finden sind. Und auch hier bleiben Berta, Belinda und Babette kreative Sammlerinnen.

Doch die Zeit vergeht und die Tage werden spürbar kürzer. Selbst die letzten Äpfel reifen jetzt, die ersten roten Boskoops fallen vom Baum, das Laub färbt sich. Am frühen Abend steigt bereits Nebel auf, Herbst liegt in der Luft und das Bienenvolk fängt mit den Vorbereitungen zum Überwintern an. Die fleißigen Bienen haben vorgesorgt und reichlich Vorräte angelegt. Noch aber lockt die Sonne sie aus dem Stock und auch die anderen Insektenvölker tummeln sich draußen.

Als eines Tages ein Bläuling am Bienenstock vorbeifliegt und sich in der Nähe auf einen Ast setzt, bleibt Berta fast das Herz stehen. Ist das ihr Bläuling? Wartet er auf sie? Will er mit ihr gemeinsam die letzten warmsonnigen Tage des durchfliegen? Sie schaut Belinda und Babette an, die sie gespannt beobachten. „Ja, vielleicht“, denkt sich Berta und hebt ab.




Streuobstwiesen

Ihr Name beschreibt ihr Wesen ganz gut: Streuobstwiesen bestehen aus gemischten Obstbäumen, die über die Landschaft verstreut sind. Traditionell stehen sie mal auf Wiesen oder Weiden, mal auf Äckern oder in Gärten. Historisch war ihre Aufgabe, die Menschen auch in schwierigen Zeiten mit Nahrung zu versorgen. Karl der Große (747/748 - 814) förderte den Anbau von Obstbäumen als Erster in großem Stil. Später engagierten sich auch die Kirchen dafür und brachten Vielfalt in die Sorten. 

In Deutschland, also auch im Sauerland gehörten sie bis in die Nachkriegsjahre zum typischen Landschaftsbild. Jeder Hof und jedes Dorf verfügte über Streuobstwiesen, die auch Lebensraum für Kleintiere, Vögel und Insekten waren. 1950 betrug die Fläche an Streuobstwiesen in Deutschland rund 1,5 Mio. ha. In den Wirtschaftswunderjahren verloren sie nicht nur an Bedeutung, sondern vielerorts tatsächlich auch ihre Grundlage. Viele wurden für Straßen- und Siedlungsbau gerodet. 

In den 1970er Jahren begann ein Umdenken und es gründeten sich erste Initiativen für den Erhalt bzw. die Neuanpflanzung von Streuobstwiesen. Dafür sprach neben landschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen vor allem der Aspekt, die heimische Artenvielfalt in Flora und Fauna zu erhalten. Heute ist dieser Aspekt wichtiger denn je und zahlreiche Organisationen arbeiten auch im Märkischen Sauerland kontinuierlich daran, neue Streuobstwiesen aufzubauen und ihr Wissen – auch an Gartenbesitzer – weiterzugeben.  

Sie schaffen Inseln der Artenvielfalt und Biodiversität, in denen das ökologische Gleichgewicht funktioniert und dennoch eine wirtschaftliche Nutzung möglich ist. Nach vielen Anstrengungen liegt die Fläche an Streuobstwiesen in Deutschland heute wieder bei ca. 250.000 ha (Stand: Juli 2022).  


Weitere Informationen



Streuobstwiesen im Märkischen Kreis

Nachdem im Märkische Kreis bis zu 80 Prozent der Streuobstwiesen gerodet worden waren, wächst der Anteil an Streuobstwiesen inzwischen wieder. Der Verein Naturschutzzentrum Märkischer Kreis e.V. beispielsweise vermehrt im Rahmen des LEADER-Projekts Südwestfalens blühende Vielfalt erhalten gezielt alte Sorten und pflanzt sie möglichst an historischen Standorten. Er kooperiert dabei mit verschiedenen Initiativen, Institutionen und Vereinen. Ziel ist, innerhalb von fünf Jahren mindestens 2.500 neue Bäume zu pflanzen. 1.000 davon sollen seltene, regionale Sorten sein. Schon länger gehören dem Naturschutzzentrum Märkischer Kreis die Streuobstwiesen am Rand des alten Truppenübungsgeländes Apricke am Sauerlandpark Hemer. Hier stehen 185 unterschiedliche Obstbäume

Einer der Kooperationspartner des Naturschutzzentrums ist der Heesfelder Mühle e.V., der zuletzt in Heesfeld an der B229 eine neue Streuobstwiese mit 70 verschiedenen Apfel-, Birn-, Kirsch- und Pflaumenbäumen angelegt hat. Auch er engagiert sich in der Wissensvermittlung zum Thema Streuobstwiesen. Außerdem ist die Heesfelder Mühle eine der Stationen zur Apfelsammlung: Am 23. September und am 7. Oktober kann hier die unbehandelte Apfelernte aus der eigenen Streuobstwiese zur Direktverarbeitung durch das Naturschutzzentrum abgegeben werden. Am 8. Oktober kommt ein Saftmobil zur Heesfelder Mühle, in dem man seine eigenen Äpfel direkt pressen und in Bag-and-Box-Behälter abfüllen lassen kann. 
 

Weitere Informationen:
 

Naturschutzzentrum MK – Streuobstwiesen

Heesfelder Mühle


Wanderungen zu Streuobstwiesen

Streuobstwiesen sind im Frühjahr echte Hingucker, wenn erst die Kirschen und die Pflaumen, dann die Birnen und die Äpfel prächtig blühen. Doch sie sind auch im Sommer einen Besuch wert, dann kannst du erste Früchte probieren – bei vielen Streuobstwiesen ist das erlaubt – und dich an den blühenden Wiesen oder Weiden erfreuen, auf denen sie stehen. Zuletzt reifen im Herbst Birnen und Äpfel. Schau unbedingt vorbei und bewundere die Vielfalt. 


Literatur

Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL), Streuobst erhalten – pflegen – nutzen, 8. Auflage, April 2020, Reinheim

www.naturschutzzentrum-mk.de

www.heesfelder-muehle.de 
 

Text: Sabine Schlüter – Die flotte Feder

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