Eine Kräuterwanderung am Rande des Naturschutzgebiets Apricke

Spätsommer 2022 im Märkischen Sauerland. Spätsommer auch auf dem ehemaligen Militärübungsplatz gleich neben dem Sauerlandpark Hemer, der sich ins Naturschutzgebiet Apricke verwandelt hat. Für die Menschen und für manche Tiere rückt die Ernte- und Sammelzeit näher. Nur muss man erstmal erkennen, was man ernten und sammeln könnte. Die zertifizierte Naturparkführerin des Naturparks Sauerland-Rothaargebirge, Birgit Stübe, öffnet auf der Wanderung Zeit der Ernte – Samen und Früchte so manche Augen für Kräuter, Sträucher und Bäume.


Birgit Stübe begrüßt uns vor dem schönen hölzernen Pavillon mit Tourist-Info und Naturpark-Infozentrum Hemer am östlichen Ende des Sauerlandparks Hemer. Eine bunte Mischung aus Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen 5 und 65 Jahren hat sich versammelt – gespannt auf das, was auf der Kräuterwanderung wohl zu entdecken sein wird. Ihre Route wird uns am Rand der sogenannten Magerwiese des Naturschutzgebiets Apricke entlangführen.  

 


Äpfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen

Unsere erste Station fällt in die Kategorie Baum, denn gleich am Anfang des Weges liegen Obstbäume. „Dies ist eine Streuobstwiese, wo alte Obstsorten angepflanzt werden“, berichtet Birgit Stübe. „Sie gehört dem Naturschutzzentrum Märkischer Kreis.“ Streuobstwiese klingt irgendwie niedlich, wird aber dem, was wir sehen, gar nicht gerecht. Denn es sind heute an die 300 Bäume mit verschiedenen alten Apfel-, Birnen-, Pflaumen- und Kirschsorten, die an drei Seiten des Naturschutzgebiets Apricke wachsen. Einige der Apfelbäume mit klangvollen Namen wie Rheinischer Krummstiel, Roter Trierer Weinapfel oder Prinz Albrecht von Preußen schauen wir uns näher an. 

„Anders als die Apfel-Neuzüchtungen seit den 1960er Jahren enthalten die alten Sorten noch Eiweiße und rufen daher selten Allergien hervor. Generell sind Äpfel reich an Calcium und Eisen, sie sind zum Beispiel gut für die Muskeln, aber auch für den Stoffwechsel, das Herz und die Gefäße“, erläutert Birgit Stübe und verweist auf das englische Sprichwort An apple a day keeps the doctor away. 



Die zwei Seiten der Brennnessel

Den Kindern sind anscheinend die Pflanzen am Boden näher, als die hoch hängenden Früchte. Sie hocken sich interessiert mal über gelbe, mal über weiße Blüten. „Was ist das?“, fragen sie. „Und was ist das?“ Birgit Stübe weiß jede Frage zu beantworten. „Spitzwegerich, entzündungshemmend. Der Saft aus den Blättern wirkt zum Beispiel lindernd gegen Insektenstiche.“ Oder „Wiesenlabkraut, wurde früher zum Rotfärben verwendet.“ 

Indessen ist die Runde langsam zum nächsten Stopp gelangt: einer großen Fläche mit grünen, halbhohen Pflanzen. Selbst die Kleinsten wissen, worum es sich handelt. „Brennnesseln!“, rufen zwei von ihnen. Klar, wer draußen spielt, macht schon von Kindesbeinen an seine Erfahrungen damit. Birgit Stübe pflückt gekonnt eine Spitze, ohne sich zu brennen – in diesem Fall hat niemand das Bedürfnis, es ihr gleichzutun. 

Sie hält den Stängel auf den Kopf, sodass man die Blätter gut von unten sieht. „Unter den Blättern sind die Nesselhaare, die Flüssigkeit verursacht schmerzhafte Quaddeln auf der Haut. Das macht die Pflanze natürlich aus gutem Grund, denn dies dient ihr als Schutz gegen Fressfeinde“, erklärt Birgit Stübe. 

Dann deutet sie auf grüne Minikügelchen an der Brennnessel. „Dies sind die Samen der Brennnessel. Sie sind essbar, sehr schmackhaft und gut für Haut und Haar,“ sagt sie. „Die Samen der jungen Pflanzen schmecken am besten“, sie deutet auf saftig grüne, kleinere Pflanzen mit noch hellen Samen. „Am besten quetscht man sie leicht.“ Sie verrät auch noch einen Trick, der Rheuma und Arthrose lindern soll. „Doch solche Sachen müssen Sie natürlich mit Ihrem Arzt besprechen. Ich bin hier nur die Kräuterhexe“, sagt sie schmunzelnd. Brennnesseltee wird übrigens aus jungen Blättern gemacht.


Wilder Vorgänger unseres Gemüses

Als Nächstes steuert Birgit Stübe ein Kraut mit großen weißen Blüten an, die sich als Zusammensetzung aus vielen kleinen Blüten herausstellen. „Dies ist die Wilde Möhre“, sagt sie. „Die Blüte hat immer einen schwarzen Punkt, um Insekten anzulocken, die dann für Bestäubung sorgen.“ Sie berichtet, dass die Wurzeln nur im ersten Jahr genießbar sind und deutet auf ein nestförmiges Gebilde. „Dies ist die Fruchtdolde mit den Samen“, fährt sie fort. „Auch die Samen sind essbar, man kann sogar Öl daraus gewinnen. Und ihr Saft half früher gegen Gelbsucht. Aber es gibt sehr viele Pflanzen, die ihr zum Verwechseln ähneln. Daher muss man sehr genau hinschauen.“ 

Dann entdeckt sie vor einem alten Gebäude einen Strauch mit vielen schwarzen Früchten und geht darauf zu. „Wissen Sie, was das ist?“, fragt sie in die Runde. „Holunder“, antwortet jemand. „Richtig“, sagt Birgit Stübe. „Von diesem Busch können Sie Blüten und Früchte verwenden. Aus den Blüten wird Sirup gemacht, zum Beispiel für den Hugo. Die schwarzen Beeren können nur gekocht als Saft, Marmelade oder Gelee verwendet werden, sonst sind sie nicht gut verträglich.“ Auch die Frage nach dem merkwürdigen überwucherte Gebäude hinter dem Busch beantwortet sie: „Das ist die ehemalige Panzerwaschanlage.“ Wer hätte das gedacht? Die wuchernden Pflanzen lassen einen die Historie des Geländes fast vergessen. 


Duftende Kräuter, nahrhafter Busch

Kurz darauf biegen wir vom Hauptweg nach links auf einen Pfad in einen Bereich, der nach dem trockenen Sommer fast wie eine Steppe wirkt. Am ausgedörrten Boden sind ein paar eher struppige Pflanzen verblieben. Doch wie wir bereits gelernt haben, lohnt es sich immer, genauer hinzuschauen. Birgit Stübe fordert uns auf, die Blätter zweier Pflanzen zwischen den Fingern zu zerreiben und daran zu riechen. Sofort duftet es aromatisch. „Das sind wilder Majoran, also Oregano, – sehr beliebt in der italienischen Küche – und wilder Thymian“, sagt sie. 

„Und diese Pflanze“, sie deutet auf einen langen gelben Stängel, „steht unter Naturschutz. Von der Golddistel dürfen Sie nicht einmal das kleinste Blatt abreißen.“ Sie zeigt auf eine Distelgruppe. 

„Sie hat eine ganz besondere Art, ihre Samen zu verteilen. Sie vertrocknet, wird vom Wind abgerissen und in Bündeln durch die Gegend gerollt – so wie man das manchmal in alten Western sieht. Beim Rollen verliert sie dann ihre Samen. Früher wurde sie übrigens genutzt, um Würmer auszutreiben.“ 

Wir kehren auf den Hauptweg zurück und wenden uns nach den Bodendeckern wieder einem Busch zu, dem Weißdorn. Birgit Stübe zeigt uns Fotos der weißen Blüten, die natürlich nur im Frühjahr zu sehen sind. Jetzt trägt der Weißdorn dunkelgrüne, kräftige Blätter und kleine orangerote Früchte. Birgit Stübe öffnet eine von ihnen. Wie die Hagebutte, die wir zuvor bereits gesehen hatten, enthält sie kleine Kerne, die Samen. „Beim Weißdorn sind die Blätter und die Früchte essbar und werden hauptsächlich zu Tee verarbeitet. Weißdorn soll gut für den Herzrhythmus sein.“  



Überraschung und Übersicht am Steinbruch

Wir nehmen jetzt den Weg, der zum Steinbruch führt. Rechts von uns breitet sich das Naturschutzgebiet mit seinen Wiesen, Sträuchern und Bäumen aus. Es ist durch einen elektrischen Zaun abgesperrt. „Das Gebiet besteht zu einem Großteil aus Magerwiesen“, erläutert Birgit Stübe. „Hier leben heute Heckrinder, Dülmener Pferde, Ziegen und Schafe wild. Schade, dass wir sie nicht sehen können. Sie scheinen sich momentan in einem anderen Winkel aufzuhalten.“ Wahrscheinlich haben sie sich ein schattiges Plätzchen gesucht, denn die Sonne brennt inzwischen ordentlich auf uns herab. Die Wiesen werden übrigens nicht gemäht, sondern ausschließlich von den Tieren beweidet, die bei Gräsern, Kräutern und Sträuchern unterschiedliche Vorlieben haben. 

Kurz vor dem Steinbruch, den wir linkerhand hinter Zaun und Hecken nur erahnen können, hält Birgit Stübe eine besondere Überraschung für uns bereit: Direkt unter dem Zugangsverbotsschild hat es sich ein riesiger Busch gemütlich gemacht, der eigentlich nicht im Märkischen Sauerland heimisch ist: Hopfen mit den typischen hellgrünen Dolden, der weiblichen Frucht, auch Hopfenzapfen genannt. „Hopfen hat beruhigende Wirkung“, sagt Birgit Stübe. „Aber er wird natürlich hauptsächlich zum Bierbrauen verwendet.“ Wie er hier hinkam, wird gefragt. „Das weiß ich nicht“, sagt Birgit Stübe. „Vielleicht sogar über Panzerketten.“ Da ist sie wieder, die militärische Vorgeschichte des Geländes. Auch in den Magerwiesen findet man noch die Betontrassen der Panzer, doch die Pflanzen wachsen und überwuchern sie fleißig. 



Unser Weg führt uns noch bis zur Aussichtsplattform, vorbei an Kardendisteln, die verirrten Wanderern durch ihr Wasserreservoir das Leben retten könnten und aus deren Wurzeln eine Tinktur gegen Borreliose hergestellt wird. Ebenfalls am Wegesrand zu finden sind Schlehen, die Vorgänger von Zwetschgen und Pflaumen, sowie Kletten, deren Anhänglichkeit eine optimale Strategie ist, sich weit zu verbreiten. Denn in den Dolden werden Samen transportiert, die sich mit ihren kleinen Häkchen gerne an Kleidung oder Fell haften und so mitgetragen werden. Und: Sie inspirierten zur Erfindung des Klettverschlusses. Die Plattform bietet schließlich einen grandiosen Rundum-Blick. Einerseits in den tiefen Steinbruch und andererseits über das Naturschutzgebiet – wobei sich die Herden offenbar wirklich gut versteckt haben.



Eine besondere Begegnung

Wir machen uns plaudernd an die Rückkehr zum Pavillon, vorbei an den vielen Pflanzen, die wir inzwischen kennengelernt haben. Unsere Blätter- und Blütensammlungen sind angewachsen. Birgit Stübe weist uns noch auf ihre Lieblingspflanze hin, das Tausendgüldenkraut. Eine einzelne kräftig rosafarbene Blüte ist vom Sommer verblieben. „Das Tausendgüldenkraut wird zu medizinischen Zwecken genutzt, es ist fiebersenkend und gut für das Verdauungssystem. Es wird für Tees oder Liköre verwendet, nicht in der Küche“, sagt sie. Ein Bläuling kreuzt unseren Weg. „Der Bläuling gehört zu den bedrohten Arten, wie schön, ihn zu sehen“, erklärt Birgit Stübe zu dem hübschen blauen Schmetterling. 

Zum Abschluss zeigt sie uns noch einen besonderen Baum mit gefiederten Blättern und grünen, wachteleiergroßen Früchten. „Dieser Baum ist untypisch für diesen Standort, denn er mag feuchte Böden“, erzählt Birgit Stübe. „Kennt ihn jemand?“ Da niemand sich sicher ist, hilft sie uns auf die Sprünge. „Es ist ein Walnussbaum“, sagt sie. „Früher wurden Walnussbäume in der Nähe des Hauses gepflanzt, weil sie Mücken und Fliegen vertreiben. Insbesondere auch am Häuschen mit dem Herz“, sagt sie. „Wisst ihr, was das war, das Häuschen mit dem Herz?“, fragt sie die Kinder, doch die schütteln den Kopf. Sie löst das Rätsel auf – Außentoilette oder Plumpsklo.  

„Beim Sammeln der Früchte sollte man Handschuhe tragen, die Farbstoffe der Schale wurden früher sogar zum Färben genutzt“, berichtet sie. „Die Blätter kann man für Tees und zum Baden verwenden. Insgesamt sind sie gut für die Atemwege, Haut und Haar. Und auch die Nüsse sind sehr gesund und gut fürs Gehirn.“ Sie zieht eine Frucht heran, um sie uns zu zeigen. „Die Nüsse stecken unter dieser dicken grünen Schale und sind dann nochmal von einer hölzernen Schale umschlossen. Erst, wenn die Früchte herunterfallen, sind sie reif.“ 

Unvermittelt huscht ein Tier über ihre Hand. Allgemeines Raunen. Die fette Spinne, mit einem Leib von der Größe eines Fingernagels, verursacht Gänsehaut. „Was für eine ist das?“, wird gefragt. „Eine Kreuzspinne wahrscheinlich“, antwortet Birgit Stübe. Die Spinne versucht, zu fliehen. Während die Gruppe gebannt zuschaut, stößt sie dicke, feste Fäden aus, um zu entkommen. Über die schimmernden, im Wind wehenden Strippen hangelt sie sich durch die Luft. Wir dagegen versuchen, den klebrigen Fäden auszuweichen. Dann hat die Spinne es auf den Boden geschafft und flitzt davon. Auch wir machen uns langsam auf den Weg zurück zum Parkplatz, wo Birgit Stübe noch eine weitere Überraschung für uns bereithält. 


Wusstest du schon, dass ...

… das heutige drei Quadratkilometer große Naturschutzgebiet Apricke von 1940 bis 2007 ein Militärübungsplatz war, der zur benachbarten Kaserne gehörte?

… der Name vom Dorf Apricke stammt, das schon lange zu Deilinghofen gehört, heute ein Ortsteil von Hemer?

… im Naturschutzgebiet Apricke Heckrinder, Dülmener Pferde und Ziegen wild leben?

… Schafe das Gebiet schon zu Militärzeiten beweideten?

… sich an den Rändern des Naturschutzgebiets Apricke Streuobstwiesen des Naturschutzzentrums MK befinden, auf denen mittlerweile knapp 300 alte Apfel-, Birnen-, Pflaumen- und Kirschsorten wachsen?

… das Naturschutzzentrum MK in Lüdenscheid einen eigenen Pomologen hat, der alte Apfelsorten betreut und Hobbygärtner auch bei der Bestimmung von Apfelsorten unterstützt?


Tipp auf der anderen StraßenseiteNatur XL im Felsenmeer Hemer

Direkt gegenüber dem Pavillon findest du den Zugang zum Felsenmeer Hemer. Wenn du schonmal da bist, solltest du dir die in Deutschland einzigartigen Felsformationen keinesfalls entgehen lassen. Es ist nicht nur ein Naturschauspiel, sondern auch eines der ältesten Abbaugebiete von Eisenerz in Westfalen. Über Stege kannst du das Felsenmeer ganzjährig durchwandern.

Das Felsenmeer Hemer gehört übrigens zu den Naturpark-Juwelen, den schönsten und spannendsten Orten des Naturparks Sauerland-Rothaargebirge



Du möchtest an einer Führung oder Wanderung rund um das NSG Apricke teilnehmen?

Dann schau dir die Entdeckertouren der zertifizierten Naturparkführerinnen und Naturparkführer des Naturparks Sauerland-Rothaargebirge mal genauer an. Die Führung Zeit der Ernte – Samen und Früchte findet 2023 am 1. September um 17 Uhr und am 2. September um 14:30 Uhr statt. Dieses Mal an der Kleingartenanlage Emberg in Iserlohn (Saatweg, Iserlohn-Emberg). Treffpunkt ist der dortige Parkplatz.  

Weitere Entdeckertouren in Naturpark Sauerland Rothaargebirge mit Birgit Stübe und anderen Naturparkführern findest du im aktuellen Booklet.
 

Booklet Naturparkführungen 2024

Tipp: Auch das Naturschutzzentrum Märkischer Kreis bietet Wanderungen und Exkursionen an.  




Text: Sabine Schlüter – Die flotte Feder

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