Anno dazumal auf dem Drahthandelsweg
zwischen Altena und Iserlohn

Wir schreiben das Jahr 1770: Kaspar ist ein fleißiger Bursche, Anfang 20. Er arbeitet als Zöger in einer Drahtrolle im Rahmedetal zwischen Lüdenscheid und Altena. Einmal im Monat schickt ihn sein Reidemeister mit einer Wagenladung Rollen über Berg und Tal bis nach Iserlohn. Dort wird der Draht zu Nadeln weiterverarbeitet. 18 Kilometer sind auch damals eigentlich nicht besonders weit. Doch die Strecke hat es in sich und dauert, vor allem an kurzen Herbsttagen mit durchwachsenem Wetter, gerne mal von morgens bis abends. Auf dem Kutschbock muss Kaspar immer wachsam bleiben – und nicht nur dort.


Kaspar trat vor die Tür. Hinter dem Haus rauschte die Rahmede, sie führte zu dieser Zeit ausreichend Wasser, um die Drahtrolle zu betreiben. Der Morgen war dunkel, frisch und feucht. Er brachte den erdigen Duft des Herbstes mit sich. Die nächsten Tage würden kalt werden, dazu brauchte man kein Wetterprophet zu sein. Hauptsache, es würde nicht mehr so stark regnen wie die letzten Tage. Regen war zwar gut für den Betrieb des Wasserrads, aber schlecht für die Wege und für den Draht, den er zu transportieren hatte. Durch das Fenster über seinem Lager schimmerte eine Öllampe. Das einzige Licht weit und breit, abgesehen von der Glut im benachbarten Drahthammer.

Das Feuer ließ der Reidemeister nie ausgehen, denn um das Eisen zum Drahtziehen anzuwärmen und geschmeidig zu machen, brauchte man es den ganzen Tag. Immer neu anzufeuern kostete zu viel Zeit und eine von Kaspars Aufgaben war, nachts über das Feuer zu wachen. Deswegen war sein Lager im Schuppen direkt neben der Drahtrolle. Doch kommende Nacht würde sich jemand anders kümmern müssen. Kaspar würde wieder eine Fuhre Draht nach Iserlohn bringen und nur bei gutem Wetter war der einfache Weg an einem Tag zu schaffen. Und der Rückweg am Tag darauf.


Zwei Etappen bis Kesbern

Inzwischen hatte es begonnen zu dämmern. Schnell wusch er sich am Trog und begann, den Wagen mit Draht zu beladen. Rund 30 Kilogramm wog eine Rolle mit einem Durchmesser von 70 bis 80 Zentimetern, die er eigenhändig gezogen hatte. Beim seinem ersten Reidemeister musste er noch jede Rolle auf den Schultern einzeln nach Iserlohn tragen. Das Fuhrwerk erleichterte die Reisen ungemein, doch nicht jeder Meister konnte sich Pferd und Wagen leisten. Und für ihn gab es sowieso einen Grund, sich auf jede Reise zu freuen.

Lächelnd hievte er die nächste Rolle auf den Wagen. 30 Rollen würde er nach Iserlohn bringen. Der kräftige Kaltblüter könnte auch ein höheres Gewicht ziehen, doch die Strecke war teilweise sehr steil und der Reidemeister wollte den Verlust des Gespanns nicht riskieren. Kurz darauf war der Wagen beladen, durch den nebeligen Dunst schimmerte jetzt das erste Tageslicht. Schnell spannte er noch das Pferd an. Dann warf er seine Schaffellweste über, ging zum Wohnhaus von Eberhard, dem Reisemeister, und klopfte. Der öffnete die Tür und lud ihn noch auf eine Morgensuppe ein. Kaspar nickte, grüßte Gertrude, Eberhards Frau, und nahm das Angebot dankbar an. Kurz darauf fuhr er los.

Zunächst ging es an der Rahmede entlang den abschüssigen Weg bis zur Mündung in die Lenne. Rechts davon fuhr er auf die Steinerne Brücke. Es herrschte viel Betrieb. Dies war die einzige Brücke über die Lenne weit und breit. Und so kamen die Drahtfuhrwerke nicht nur aus dem Rahmedetal wie der Wagen hinter ihm, sondern auch aus dem weiter westlich liegenden Tal der Brachtenbecke. Die Zöger kannten und grüßten sich. Bis zum Iserlohner Tor hätten sie den gleichen Weg. In stillem Einverständnis hielten sie sich rechts, um die Strecke am Hang zu nehmen. Unten am Lenneufer war es zu schlammig.

Der Nebel hatte sich inzwischen gelichtet, doch in den Wäldern hingen noch Wolkenfetzen. Bald passierten die Fuhrwerke linkerhand Altena. Die Ruine der Burg Altena oben auf der Wolfsegge war durch die Bäume hingegen kaum zu sehen. Nur der Bergfried ragte in die Höhe. Kaspar hatte für solche Details jetzt ohnehin keinen Blick. Der Weg war ausgefahren und noch feucht vom Regen der letzten Tage. Im Wald hielt sich die Nässe oft tagelang. Er kannte den Weg bestens, dennoch achtete er konzentriert darauf, dass der brave Kaltblüter und der Wagen die Spur hielten.



Nachdem sie das Tal der Nette gekreuzt hatten, begann auf der Mühlendorfer Seite der erste größere Anstieg. Erst verlief der Weg parallel zum Hang, dann aber schlängelte er sich steil den Berg zum Gehegde hinauf. Oben erwartete die Männer das erste Gasthaus und alle brachten ihre Pferde zum Halten. Die Sonne hatte inzwischen den Himmel vollständig erobert. So gaben die Männer ihren Pferden Wasser, holten sich dann Bier, setzten sich mit Blick auf die Burgruine auf die Wiese und schnitten ihr Brot. Die erste Etappe war geschafft.  

Bald darauf verabschiedeten sich die fünf Männer vom Wirt und nahmen ihre Plätze auf den Böcken wieder ein. Die zweite Etappe wurde einfacher. Sie war über Jahrhunderte ausgeklügelt und verlief zunächst über den Toten Mann, den Berggrat, dessen Eisenvorkommen schon lange erschöpft waren. Dann ging es weiter in Richtung Norden. Die Strecke des Drahthandelswegs umging Täler, da die Wege dort unten oft zu rutschig waren, und mied zu starke Steigungen. Und so nahmen die fünf Wagen zwei Stunden später bergauf die letzte Kurve zum Gasthof in Kesbern. Kaspars Herz schlug höher.

Die herbstliche Sonne stand jetzt hoch am Himmel und schon von weitem sah er die Wirtstochter Katharina zwischen den draußen stehenden Tischen umherlaufen. Hier stellte sie eine Speise ab, dort nahm sie eine Bestellung auf, dann lief sie ins Haus. Er konzentrierte sich auf seine Arbeit, spannte das Pferd aus, brachte es auf die Weide. Erst dann nahm er am Tisch der Gesellen Platz. Schon bald trat Katharina freundlich heran, um die Bestellungen anzunehmen. Die Stimmung am Tisch war angesichts der jungen Frau aufgeräumt.

Als sie im Haus verschwand, stieß einer der Männer aus dem Brachtenbecker Tal den anderen in die Seite und forderte ihn auf, sich ihr gegenüber deutlicher bemerkbar zu machen. Kaspar schluckte. Katharinas Charme war natürlich auch den Kollegen aufgefallen, die Konkurrenz schlief nicht. Er musste handeln, aber wie? Gedankenverloren sah er ihr entgegen, als sie fünf Humpen Bier brachte. Sie lächelte. Meinte sie ihn? Er lächelte schüchtern zurück. Aber was war schon ein Lächeln, sie lächelte hier ja den ganzen Tag allerliebst. Kaspar hob das Bier und stieß mit den anderen an. Vielleicht hätte er sich wie sonst alleine an einen Tisch setzen sollen.


Die Krönung jeder Reise

Die Zeit verrann und Kaspar sah keine Möglichkeit, Katharina allein zu sehen. Kurz vor der Weiterfahrt stand er mit der Bemerkung auf, sich noch ein Stück Brot zu holen. Auf dem Weg in die Gaststube kam sie ihm entgegen, lächelte und schwebte vorbei. Er hatte immerhin ebenfalls gelächelt – hoffentlich war es nicht zu einem Grinsen geraten. Das Brot bekam er sofort und steckte es in die Tasche, es würde ihn abends eine Mahlzeit sparen. Denn üppig war sein Lohn nicht gerade. Schnell folgte er den anderen auf die Weide und holte sein Pferd, das sich ebenfalls gestärkt hatte. Gut so, denn auf der letzten und längsten Etappe bis Iserlohn waren noch drei Berge zu überqueren. 

Am Abend erreichten die Männer die Stadt durch das Iserlohner Tor. Sie winkten und fuhren in verschiedene Richtungen davon. Kaspar kannte den Weg zu seinem Nadler und erreichte die Nadelfabrik am Stadtrand bald. Es war schon dunkel, als er eintraf. Doch der Nadelhersteller wusste, um welche Zeit Kaspar üblicherweise kam und erwartete ihn bereits. Gemeinsam luden sie den Wagen ab. Dann suchte sich der Zöger eine bescheidene Bleibe für die Nacht, wo er das Pferd versorgte und sich selbst angesichts der herbstlichen Temperaturen doch noch eine Abendsuppe gönnte.

Morgens ging es früh wieder los. Für den Rückweg lud er an der Fabrik noch einige Pakete Nadeln auf, die in Altena gebraucht wurden. Die nächste Drahtrollen-Lieferung vereinbarten sie in einem Monat. Doch jetzt ging es mit der leichten Ladung schnell zurück. Der Meister brauchte ihn. Seine Pause in Kesbern ließ er sich dennoch nicht nehmen, doch Katharina sah er nur kurz. Im sonnigen Garten bediente ein anderes Mädel und aus der Gaststube verschwand Katharinas lockiger Schopf mit der Haube gerade in der Küche. Als er den Gaul wieder anspannte, stand sie jedoch im Hintereingang und schaute zu ihm hinüber. Er hob er die Hand zum Gruß und setzte die Fahrt beschwingt fort.

Der nächsten Fahrt fieberte er entgegen. In der Drahtrolle war er fleißiger denn je, obwohl er natürlich wusste, dass mit dem Nadler in Iserlohn ein fester Termin vereinbart war und er nicht einfach früher liefern konnte. Doch weil er so schnell war, gab ihm der Meister ein paar Münzen extra. Kaspar freute sich. Am Abend vor der nächsten Fahrt legte er sich froh auf sein Lager, er würde Katharina in Iserlohn ein Geschenk kaufen. Nachts stand er auf, um nach dem Feuer zu sehen. Dann legte er sich wieder hin und träumte mit offenen Augen von der hübschen Gastwirtstochter.


Des Reidemeisters Pläne

Der nächste Morgen war noch dunkler, frischer und feuchter, als der Morgen seiner letzten Reise. Es war jetzt Mitte November. Nebel waberte. Ihn fröstelte. Wieder packte er 30 Drahtrollen aufs Fuhrwerk. Wieder spannte er den treuen Kaltblüter an. Wieder klopfte er an der Tür des Reisemeisters, um seine Abfahrt anzukündigen. Und wieder erhielt er eine Morgensuppe, die er dankend annahm. Als er aufbrechen wollte, nahm ihn der Reidemeister jedoch zur Seite.

Er sei ein guter Zöger, sagte er. Und ein freundlicher Geselle, den er gerne als Schwiegersohn in seiner Familie hätte. Verlegen senkte Kaspar den Kopf. Seine Ohren glühten. Seiner Tochter Mathilde hätte er noch nichts gesagt, raunte der Reidemeister. Doch Kaspar solle auf seiner Fahrt einfach darüber nachdenken, sie zu heiraten, sagte er augenzwinkernd zum Abschied. Kaspar versuchte zu lächeln, nickte abwesend, schwang sich auf den Kutschbock und grüßte zum Abschied.

Während er vom Grundstück rollte, atmete er tief ein und wieder aus. Mathilde mochte ein herzensgutes Mädchen sein, aber sie war doch eben noch ein Kind gewesen. Ein Mädchen, das er in den letzten drei, vier Jahren hatte aufwachsen sehen. Der Nebel hatte ihn außerhalb der Siedlung fast umschlossen. Die Dämmerung tat sich schwer, die Nacht endgültig zu vertreiben. Zehn Meter, weiter konnte Kaspar kaum sehen. Doch er kannte den Weg, er musste nur bei der Sache bleiben.

Er schob alle störenden Gedanken beiseite, leitete den Wagen routiniert bis zur Lenne, überquerte den Fluss und nahm den Weg am Hang des Klusensteins entlang. Kollegen waren weder zu sehen noch – was bei diesen Bedingungen wahrscheinlicher gewesen wäre – zu hören. 30 Meter betrug die Sicht inzwischen. Er hätte sich Ablenkung gewünscht, doch Altena auf der linken Seite oder oben den Bergfried auf der rechten konnte er nur erahnen.



Immer wieder dachte er an Katharina, wie federleicht sie ihrer Arbeit im Gasthaus nachging. Dann nahm der Aufstieg zum Gehegde seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Kaspar fluchte vor sich hin. Die Feuchtigkeit zog ihm durch alle Glieder und drückte ihm auf die Stimmung. Oben angelangt, war an ein Bier auf der Wiese nicht zu denken. Er war froh, sich kurz drinnen aufzuwärmen und schlürfte an der Schänke eine Brühe. Bald setzte er seinen Weg fort.

Wie hatte er sich auf die Fahrt gefreut. Darauf, Katharina wiederzusehen. Und jetzt? Machte ihm der Reidemeister diesen Vorschlag. Noch im April hätte er wahrscheinlich einfach zugestimmt. Was für ein Vertrauensbeweis und was für eine gute Gelegenheit, in das Reidemeister-Geschäft einzusteigen. Zumindest deutete Kaspar das Angebot so. Und Mathilde? War ein braves Mädchen und eigentlich ja auch im heiratsfähigen Alter. Aber seit Mai dachte er an Katharina, ach Katharina.

Mittlerweile hatte er sich Kesbern schon deutlich genähert. Die Sicht besserte sich weiter und mit einem Mal hörte er hinter sich einen Wagen. Im Umdrehen erkannte er den Kollegen aus dem Brachtenbecker Tal, der fröhlich winkte. Als sie in Kesbern ankamen, schimpfte er über die Nebelbrühe. Kaspar pflichtete ihm bei. Beide stellten sich vor – der Kollege hieß Marius – und so kamen sie ins Gespräch. Sie betraten das Gasthaus gemeinsam und setzten sich.

Kaspar hielt verstohlen Ausschau nach Katharina und bemerkte, dass Marius ebenfalls den Blick schweifen ließ. Und dann tauchte sie auf. Freundlich wie immer trat sie an den Tisch und begrüßte die beiden Männer. Marius versuchte sogleich, ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es gelang ihm nicht, denn sie widmete sich beiden gleichermaßen. Das ärgerte Kaspar, hatte er doch zuvor das Gefühl gehabt, sie möge ihn besonders. Er schalt sich einen Trottel! Er sollte einfach Mathilde heiraten und Reidemeister werden.


Novemberwetter und seine Folgen

Die Pause war schnell verbracht und fast schon aus Gewohnheit ging Kaspar zur Schänke, um sich ein Stück Brot mitzunehmen. Katharina schien ihn zu erwarten. Sie war allein. Verschmitzt steckte sie ihm ein Stück Früchtebrot zu und winkte ab, als er bezahlen wollte. Er solle heute Abend an sie denken, sagte sie. Verdutzt schaute er sie an, zu sprachlos, sich zu bedanken. Er nickte nur, drückte heimlich ihren Arm und kehrte, innerlich jubelnd, zu Pferd und Wagen zurück. 

Der Rest der Fahrt verlief wie im Flug. Erst als er in Iserlohn war, hatte sich der Nebel wieder verdichtet. Frohgemut lieferte er die Drahtrollen ab und zog sich in sein Lager zurück, um das köstliche Früchtebrot zu verzehren und an Katherina zu denken. Auch wenn es dazu keiner besonderen Aufforderung bedurft hätte. Beim Aufwachen fühlte er sich, als könne er Bäume ausreißen. Froh machte er sich mit dem Wagen auf den Weg, um seinen ursprünglichen Plan in die Tat umzusetzen und ein Geschenk für Katharina zu kaufen.

Den Nadler hatte er nach einer guten Adresse gefragt, und der hatte ihm augenzwinkernd einen Tipp gegeben. Er solle sich auf ihn berufen, hatte er hinzugefügt. Der Laden des Seidenhändlers verschlug Kaspar allerdings die Sprache. Dass sein Geld für diese Kostbarkeiten reichen würde, war mehr als fraglich. Doch nachdem der Händler von der Empfehlung des Nadlers gehört hatte, beriet er Kaspar sehr gut. Mit einem kleinen Päckchen verließ er Iserlohn.

Außerhalb der Stadtmauern bemerkte Kaspar, dass das Wetter umgeschlagen hatte. Der Nebel war verschwunden und die Temperatur deutlich gesunken. So sehr, dass sein Atem Wolken schlug und der Boden unter den Hufen des Kaltblüters knisterte. Der erste Frost! Er musste den Weg ins Rahmedetal schleunigst, also bei Tageslicht, zurücklegen. Zumal er ja auf den Zwischenstopp in Kersbern keinesfalls verzichten konnte. Glücklicherweise hatte er keine Ware geladen. Er schnalzte mit der Zunge und trieb das Pferd an.

Je höher er kam, desto kälter wurde es. War der Weg gestern einfach nur feucht gewesen, wurde er heute zur Rutschpartie – vor allem, wenn es bergab ging. Die hohe Geschwindigkeit konnte er bei diesen Bedingungen unmöglich halten, also zügelte er das Tier. Doch er hatte das Gewicht des Fuhrwerks nicht bedacht. Es geriet ins Schlingern, sodass Kaspar das Pferd antrieb, das abrupt wieder Tempo aufnahm, während der Wagen weiter schlingerte.

Ihm brach der kalte Schweiß aus. Krampfhaft versuchte er, den Gaul mit den Zügeln zu steuern und gleichzeitig das Gleichgewicht zu halten. Er stand auf. Ein fataler Fehler, denn er verlor den Halt und purzelte seitlich des Wagens zu Boden, einen Zügel noch in der Hand. Seine Ho!-Ho!-Rufe verhallten, ohne dass das Pferd stoppte. Zwar lief es nicht besonders schnell, doch Kaspar hatte keine Chance, sich wieder hochzurappeln. Immer, wenn er meinte es zu schaffen, brachte ihn ein Hindernis wieder zum Stolpern.

Endlich kam er auf die Idee, den Zügel loszulassen. Er versuchte aufzustehen, stieß aber einen Schmerzensschrei aus. Sein linker Knöchel schien verletzt zu sein. Wütend rief er dem Pferd erneut hinterher. Aber das Fuhrwerk war schon mehr als 50 Meter entfernt. Mit dem verletzten Fuß würde er es niemals einholen. Auf einem Fuß hoppelte er ein paar Meter. Weil er kaum vorankam, blickte er sich nach einer Stütze um und fand einen stabilen Ast. Immerhin kam er jetzt etwas besser vorwärts.

Wie weit mochte es noch bis Kersbern sein? Er blickte sich um, versuchte, seine Position genauer zu bestimmen. Zweieinhalb Kilometer bestimmt. Kaspar ärgerte sich über seine Ungeschicklichkeit. Und dass der Gaul nicht stehengeblieben war, konnte er sich auch nicht erklären. Missmutig humpelte er weiter. Jeder Schritt musste vorsichtig gesetzt werden. Der Boden war uneben und wegen des Frosts schwer einzuschätzen. In diesem Tempo würde er nicht so bald in Kesbern ankommen. Da wäre er ja auf Knien schneller. Doch er verwarf den Gedanken, es auszuprobieren, und kämpfte sich Schritt für Schritt voran.



Kaspar hatte vielleicht zweihundert Meter geschafft, als er unvermittelt Pferdehufe und Wagenrattern vernahm. Sollte sein Pferd etwa umgekehrt sein? Doch nein, das Geräusch kam von hinten. Er drehte sich um. Erleichterung machte sich in ihm breit. Ein Gefährt kam langsam den Weg hinunter und beim Näherkommen erkannte er den Mann auf dem Kutschbock. Kaspar winkte. Es war Marius, der Kollege aus dem Brachtenbecker Tal, der kurz darauf neben ihm zum Stehen kam und fragte, was passiert sei. Kaspar zeigte auf den Boden, berichtete vom Schlingern des Wagens und seinem Sturz. Der Kollege nickte verständig und half ihm auf den Kutschbock. Dankbar atmete Kaspar auf, während Marius sein Pferd vorsichtig über den gefährlichen Weg steuerte.

Sie redeten über das Drahtziehen, darüber, wieviel bzw. wie wenig Wasser die Bäche in ihren Tälern führten und darüber, ob sie ober- oder unterschlächtige Wasserräder einsetzten. Bald kamen sie in Kesbern an und mit Erstaunen sah Kaspar, dass sein Wagen vor dem Gasthaus stand und der Gaul in Seelenruhe weidete. Katharina war aus der Tür getreten und sah den beiden entgegen. Als Kaspar mit Marius‘ Unterstützung vom Wagen stieg, rief sie nach einem Burschen. Die zwei Männer brachten Kaspar ins Haus, wo Katharina den Fuß begutachtete. Sie rief nach kühlenden Bandagen und verband ihm dann gekonnt den linken Knöchel.

Kaspar konnte sein Glück gar nicht fassen, so nah waren sie sich noch nie. Froh bedankte er sich und lächelte sie verliebt an, als sie wieder aufstand und sich die Hände an der Schürze abwischte. Schnell griff er in sein Hemd, um ihr sein Geschenk zu überreichen. Er befühlte erst die eine, dann die andere Seite des Hemds, dann seine Weste und wieder sein Hemd. Das kleine Päckchen war nicht da. Er musste das hübsche Seidentüchlein verloren haben, als er vom Wagen fiel. Die Serie seiner Missgeschicke riss ja gar nicht mehr ab.

Katharina schritt inzwischen zur Schänke. Kaspar sah, wie Marius auf sie zu trat. Was er sagte, konnte er nicht verstehen, aber einen Moment später reichte er ihr ein kleines Päckchen. Ein Päckchen, das genauso aussah, wie sein verloren geglaubtes Geschenk. Kaspar stand auf, hielt sich am Tisch fest, wollte etwas sagen. Doch er bekam kein Wort heraus. Dann sah er, wie Katharina freundlich, aber bestimmt die Hände ausstreckte und den Kopf schüttelte. Erstaunt sah er Marius auf dem Absatz kehrt machen und den Gastraum verlassen. Das Päckchen warf er wütend in die Luft. Katherina aber drehte den Kopf zu Kaspar und ihm wurde schlagartig klar, dass Eberhard für Mathilde einen anderen Ehemann würde finden müssen. 


Wusstest du schon, dass ...

… dass der Handelsweg des Drahtgewerbes zwischen Lüdenscheid, Altena und Iserlohn vom Mittelalter bis zur Industrialisierung bestand?

… dass der Draht in Altena ab dem 18. Jahrhundert aus Stabeisen gezogen wurde, das in Lüdenscheid aus Osemundeisen vorgeschmiedet wurde?

… dass sich in und um Altena in vielen Tälern – z.B. Brachtenbecke, Nette, Rahmede, Springerbach – eine Drahtrolle an die andere reihte?

… dass die Zöger, die den Draht zogen, schon früh die Wasserkraft der Bäche nutzten? 

… dass die Drahtrollen ursprünglich von Altena nach Iserlohn getragen wurden, bevor Fuhrwerke zum Einsatz kamen?

… dass auf der Strecke heute der Drahthandelsweg als Themenwanderweg verläuft?



Text: Sabine Schlüter – Die flotte Feder

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